Text
Irrthum, der jede Berührung mit der Wirklichkeit meidet? Übrigens
soll mit alledem nicht gesagt werden, dass man unser intellectuelles
Bewusstsein einschränken müsste, und sich hüten müsste, es zu gut
zu nähren, während man sein moralisches Bewusstsein erwartet. Fürchten
wir niemals, unser Ideal sei zu wunderbar, als dass es sich dem Leben
anpassen könnte. Es bedarf eines Stromes von gutem Willen, um den
geringsten Act der Gerechtigkeit oder Liebe in Bewegung zu setzen.
Unsere Ideen müssen unserer Lebensführung zehnmal überlegen sein,
damit diese einfach rechtlich sei. Man muss ausnehmend viel Gutes
wollen, um ein wenig das Böse zu meiden. Keine Kraft der Welt
erleidet zahlreichere Verluste als eine Idee, welche ins tägliche Leben
herniedersteigen muss; darum muss man in seinen Gedanken heroisch
sein, um höchstens annehmbar und unanstössig zu sein in seinen
Thaten.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 883, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-23_n0883.html)