Text
Von JONAS LIE.
Einzig autorisierte Übersetzung von Ernst Brausewetter.
Wenn Bootsmann Rüsten am Sonntag in seinem blauen Jacqet
mit dem Regenschirm unterm Arm zur Kirche gieng und seine Frau
leewärts ein Stück hinter ihm auf der andern Seite der Strasse an-
getrieben kam, dann wusste man, dass nun gerade zum drittenmale
geläutet werden sollte.
Sie sahen stattlich und nach gutem Einverständnis aus, gerade,
als versuchten sie, mit einander Schritt zu halten, müssten aber jedes
für sich etwas reichlich Platz haben.
Und hätten es die Leute nicht besser gewusst, hätten sie wohl
denken können, da gienge ein recht friedliches und gottgefälliges Ehe-
paar in das Haus des Herrn.
Fromm und andächtig sassen sie auch zusammen in der Kirche
— nur wegen des Gesangbuches konnten sie sich nicht einigen, denn
der Schiffer war weitsichtig und, wenn er sang und das Buch gerade
vor sich hinhielt, dann musste sie sich erheben und sich strecken, um
lesen zu können.
Aber viel weiter als den heiligen Sonntag Vormittag, dauerte
es selten, bis ein anderer Laut in die Bootmannspfeife kam, und er
wieder mit ihr zu zanken und sie zu verhöhnen, zu verspotten und
zu raisonnieren begann, so dass sie am ganzen Ort im Munde der
Leute waren.
Er hatte gerade sein langes, schönes Sonntagnachmittagsschläfchen
beendet und seine Pfeife so ziemlich zum Brennen gebracht — und
stand nun in Hemdärmeln wegen der Hitze draussen auf der Treppe
und blickte seiner Frau nach, die sich mit Paalsens drüben an der
Ecke im Wortwechsel befand.
»Meckert sie da nicht wie eine Ziege und stört den Sonntags-
frieden für die ganze Nachbarschaft «
»Hem, hem, hem, ja—hie—e— Asch... Hern, H—e—e—m—ja,«
ahmte er ihr ärgerlich nach.
Sie stand da und zeigte den Leuten vom Hause ein zusammen-
gerolltes Laken, auf dem einige Erdflecken waren und behauptete,
deren Jungen wären über den Zaun geklettert und über die Bleiche
gelaufen — gerade heute Mittag, während sie in der Kirche waren,
nur wegen der paar unreifen Äpfel, die nicht in Frieden hängen bleiben
könnten.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 892, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-23_n0892.html)