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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 893

Text

BOOTSMANN RUSTEN. 893

Bootsmann Rusten dampfte und murmelte schadenfroh:

»Meiner Seelen Seeligkeit, ich glaube gar, sie bekommt einmal
eins auf die Nase. Sie wird ja ganz ruhig «

Er blinzelte mit strahlender Zufriedenheit »Man trifft einmal
auf eine andere Frau, die sich auch nichts gefallen lässt, nein
hihihihi Man muss auch ins Gras beissen hihihihi — ha —ja,
ins Gras beissen «

Plötzlich flammte der Wortwechsel wieder auf und das etwas
bunte, von Wetter und Schnaps mitgenommene Gesicht des Schiffers
streckte sich über den Gatterzaun hinüber:

»Hoho — nun feuert sie wieder los «

Er spuckte und paffte am Pfeifenmundstück.

»Hört, nun hat sie begonnen, die Nachbarschaft mit ihren neun
Kindern zu erbauen Recht so. Sven in St. Francisco. Und Olaf,
der die Hafendampfer drüben in Lima führt; nun schnurrt sie die
ganze Rolle herunter Sie muss schreien, als wenn sie in einer
Waschwanne auf dem Kopf stände Hihikji — und doch sind wir
nur erst bis zur Mären gekommen, der ihre Sachen »vollzählig und
reingewaschen und gestopft und mit Namen eingestickt« nach Fredriks-
hald nachgeschickt wurden. »Und Gott sei Dank, da sahen sie denn
auch, dass sie von anständigen Leuten herkam Und das, sehen
Sie, das ist die Hauptsache, darauf kommt es an!«

»Hehe, jawohl, ja,« machte ihr der Bootsmann nach — »sind wir
einander gleich, ja — sie und ich gerade wie zwei Eier. Nur als
sie ausgebrütet wurde, kam ein Reibeisen zum Vorschein. — Hui —
hui —« er ahmte ein paar Schreie nach

Sein Ausdruck gieng in ein wohlgefälliges Grinsen über, als er den
Segelmacher Timme unten am Hügel angestolpert kommen sah. Der
Bootsmann liess die Pfeife im Munde hängen und machte eine Bewegung
mit der Hand, als wenn er durch ein Fernglas nach ihm hinuntersah.

Der Segelmacher hielt sich dicht an den Hauswänden. Er blieb
ab und zu stehen und blickte in die Höhe er lauerte wohl darauf,
ob er für den Nachmittag Gesellschaft in den »Hecht« hinunter be-
kommen könnte zu einem oder zwei Glas Toddy und ein wenig von
den Chincha-Inseln plaudern. Sie waren vor einigen dreissig Jahren
zusammen gesegelt und hatten dort an den Inseln zwei Monate gelegen
und im Sonnenbrande auf Ladung gewartet.

Der Segelmacher blieb ein Stück vor der Treppe ungewiss stehen.

»Warm heute, Segelmacher!«

»Pu — uh — ja.«

Er spähte nach den Fenstern hinauf »I—st
man allein zu Hause am Nachmittag «

»Ach — ja, so — während die Alte oben auf dem Berg ihren
Abendgesang abhält« — grinste er.

Der Segelmacher blinzelte nach dem Bootsmann hinauf.

»Wenn wir uns am Nachmittag unten im »Hecht« verankerten,
Rusten? Im Hinterzimmer ist’s so schön kühl!«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 893, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-23_n0893.html)