Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 915
Text
Grete. Stransky.
Stransky (kommt verlegen herein und sagt leise). Fräulein Grete.
Grete. Herr Stransky.
Stransky. Sie werden das alles wahrscheinlich komisch finden
und mir auch nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, dass Sie mir immer
theuer gewesen sind. Sehen Sie, wenn ich bisher stets um Ihr Fräulein
Schwester war, so hatte das seinen Grund, weil Sie sich mir immer
fernhielten, mich kalt und gleichgiltig behandelten.
Grete. Aber nein, Herr Stransky.
Stransky. O ja, es war so. Fräulein Rosa war immer so freund-
lich zu mir, dass ich sie zu lieben glaubte. Aber, sehen Sie, vorhin,
als ich das endgiltige Wort sprach, da fiel es wie ein Schleier von
meinen Augen.
Grete. O, Herr Stransky!
Stransky. Sie werden mir natürlich nicht glauben.
Grete (leise). O doch, Herr Stransky.
Stransky. Ich danke ihnen, Fräulein Grete, ich danke Ihnen.
Und wenn ich Sie noch in dieser Stunde bitte, die alten Irrthümer
zu vergessen und die meine zu werden, auf welche Antwort darf ich
hoffen?
Grete (zitternd). Ja, Herr Stransky.
Stransky (ihr die Hand küssend). Ich fühle mich ganz gedehmüthigt
durch Ihre grosse Güte, Fräulein Grete. Wie soll ich Ihnen danken?
Warum lachen Sie, Fräulein Grete?
Grete. O nein, ich lache doch nicht.
Stransky (feurig). Wenn ich Ihnen nur sagen könnte, wie un-
beschreiblich glücklich ich bin. Aber das können Worte nicht. Das
könnte die Musik —
Grete. Sie lieben die Musik?
Stransky. O leidenschaftlich. Spielen Sie auch Clavier?
Grete. Ja, Herr Armin.
Stransky. Wenn Sie mir etwas vorspielen wollten —
Grete (einfach). Gerne. Was wünschen Sie?
Stransky. Irgend etwas Classisches, wenn ich bitten darf. (Hin-
werfend.) Vielleicht die Mondscheinsonate von Beethoven.
(Grete geht mit kleinen, müden Schritten zum Clavier, setzt sich nieder und
blickt eine Weile leer auf das aufgeschlagene Notenblatt. Dann lächelt sie
resigniert und beginnt einen langsamen, nicht zu bekannten Walzer zu spielen.
Stransky setzt sich erleichtert auf einen Stuhl und wischt sich mit dem Taschen-
tuch den Schweiss von der Stirne.)
Der Vorhang fällt langsam.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 915, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-24_n0915.html)