Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 914
Text
Frau Klein, Grete, Rosa.
Frau Klein (ruft). Grete, Rosa! (Die Mädchen treten ein, Grete
verweint, Rosa gleichgiltig).
Grete (Frau Klein umschlingend). O, Mama, Mama!
Frau Klein. Ihr wisst?
Rosa. Ihr habt ja so laut gesprochen, dass man jedes Wort
hören konnte.
Frau Klein. Ihr dürft es dem Armin nicht so übel nehmen,
er kann nicht, wie er will. Er lässt sich ganz von seiner Mutter leiten.
Er selbst ist ein ganz guter Junge.
Rosa (leichtsinnig). Ach was, mir ist es egal. Ich nehme auch
den Isidor. (Grete hat sich in einen Stuhl gesetzt und beginnt erneut zu
schluchzen.)
Frau Klein. Geh’ Gretel, du darfst die Sache nicht so tragisch
nehmen. Schau, in der Ehe sind die Männer einer wie der andere.
Wenn man aufrichtig sein will, ist es ganz gleichgiltig, wen man
heiratet. Und siehst du, der Armin ist nicht der Ärgste. Er wird sich
lenken lassen. Hast du denn so eine Antipathie gegen ihn?
Grete. Nein, aber ich hab’ mich so an den Isidor gewöhnt.
Rosa (überlegen). Du wirst Dich jetzt an den Armin gewöhnen.
Frau Klein. Schau, Kind, ich will Dich ja nicht zwingen. Ich
will gewiss das Beste für Dich. Will ich das nicht, sag’ selbst?
Grete (nachgiebig). O ja, Mama.
Frau Klein. Wenn Du den Armin nicht willst, so brauchst Du
ihn nicht zu nehmen. Da werde ich halt wieder von neuem herum-
laufen, einen für die Rosa zu finden. Es ist freilich nicht leicht, und
ich bin auch nicht mehr jung, aber was soll man machen? Euer Glück
liegt mir vor allem am Herzen. Also entscheide Dich. Ich kann ihn
doch nicht so lange warten lassen. Ja oder nein? Es ist gar kein
Zwang da. Du kannst thun, was Du willst. Ich werde Dir keine Vor-
würfe machen.
Grete (nach einigem Kampf aufstehend). Also gut — —
Frau Klein (sie auf die Stirne küssend). Du bist mein braves Kind.
Darf ich ihn jetzt rufen?
Grete. Ja. Sehe ich sehr verweint aus?
Frau Klein. Es ist nicht so arg. Weisst Du, hauch’ ein bisserl
das Taschentuch an und leg’s auf die Augen. (Grete thut es.) Ja, was
ich noch sagen wollte, sei nicht unfreundlich gegen ihn. Es ist ihm
ja auch peinlich.
Grete. Ja, Mama.
Frau Klein (zu Rosa). Du geh’ in die Küche, Rosa, und
schau’, dass der Braten nicht ganz eintrocknet. Jetzt werden wir
doch endlich essen können. (Rosa ab.) Also, ich rufe ihn jetzt.
(Geht in das Cabinet.)
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 914, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-24_n0914.html)