Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 917

Nationales Königthum (Ibsen, Dr. Sigurd)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 917

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NATIONALES KÖNIGTHUM. 917

geschlossenen Phalanx des Classeninteresses. All dies hat gewiss seine
Bedeutung. Aber es sind doch alles Factoren, die auch in früheren
Zeiten vorhanden waren. Auch damals stand die Tradition, die be-
waffnete Macht und der Eigennutz der Privilegierten auf der Seite der
Könige. Denn damals, trotzdem die Throne wankten, während sie nun
auf festeren Füssen stehen als früher, müssen wir annehmen, dass
neue Momente sich inzwischen geltend gemacht haben, zum Vortheile
der Monarchen.

Und so verhält es sich auch in der That. Zwei Gründe lassen
sich mit Bestimmtheit hiefür nachweisen, der eine ist negativ, der
andere positiv. Der erste ist der Niedergang der republikanischen
Ideen, der andere ist die Umbildung der Monarchie selbst.

Im grossen und ganzen ist die Republik in dem politischen Klima
unseres Welttheiles nicht recht gediehen. Der ungarische und die
italienischen Freistaaten von 1848/49 waren Eintagsfliegen. Die spanische
Republik von 1873 war ein missglücktes Experiment, die französische
von 1870 besteht noch; aber es ist freilich auch mehr als zweifelhaft,
ob man sie als Beispiel für die republikanische Sache aufführen kann.
Wie ihre Entstehung Umständen zuzuschreiben ist, die mit eigentlicher
republikanischer Begeisterung wenig zu thun haben, ist sie auch in ihrer
Fortsetzung stets eher dem Namen nach eine Republik gewesen als
im Geist und in der Wahrheit, und man hat sie treffend als einen
monarchischen Nachlass unter vorläufiger republikanischer Administration
genannt. Sie heisst Republik, weil an der Spitze ihrer Regierung ein ge-
wählter Präsident statt eines erblichen Souveräns steht; aber im übrigen
ruht ihre Verwaltung und Gesellschaftsordnung auf monarchischen Über-
lieferungen und Principien: die Selbstverwaltung des Volkes ist hier sogar
weniger entwickelt als in manchem Königreiche, und Bureaukratie und
Militarismus blühen so üppig wie in einer Monarchie. Dass sie sich
Verdienste um das Land erworben hat, namentlich in Bezug auf
die Förderung des Unterrichtswesens, kann man billigerweise nicht
leugnen; aber alles in allem muss man doch sagen, dass ihr sowohl der
heroische Zug, der die erste französische Republik adelte, fehlt, als auch
der humanitäre, der die zweite, wenigstens im Anfang, auszeichnete.
Ihre grösseren Persönlichkeiten hat sie verloren, und die kleineren
Männer, die deren Erbe angetreten haben, können uns kein sonderliches
Interesse abringen. Europa hat gelernt, mit kühler Gleichgültigkeit
den ewigen, zum Theil unverständlichen Regierungskrisen, die diese
professionellen Politiker in Scene setzen, zuzuschauen, und wenn
auch Frankreich selbst, das französische Volk und die französische
Cultur viele Freunde zählt, gibt es doch wohl kein Herz, das noch
für diese französische Republik schlägt.

Das Schlimmste, was einer Idee widerfahren kann, ist, dass sie
in verpfuschter Gestalt verwirklicht wird. Das hat man auch hier
wieder sehen hönnen. Weit entfernt, Propaganda zu machen, wie man
anfangs meinte, hat das Beispiel Frankreichs auf die Reste des re-
publikanischen Enthusiasmus, die noch ringsum in den andern europäischen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 917, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-24_n0917.html)