Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 918

Nationales Königthum (Ibsen, Dr. Sigurd)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 918

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918 IBSEN.

Ländern glimmten, abkühlend und einschläfernd gewirkt. Sie hat viele
Illusionen zerstört und bedeutend den alten Glauben an die wunder-
thätige und beseligende Macht der Republik erschüttert.

Die Republik ist nicht mehr das Zauberwort, das es einst für
viele war, und es ist es immer weniger geworden, je mehr die grossen
Männer verschwunden sind, die ihren Gedanken verkörperten und die
Phantasie in Thätigkeit versetzten. Kossuth, Mazzini, Lamartine, Victor
Hugo, Gambetta, alle sind sie fort und haben keine Nachfolger gefunden.
Man hat einen nach dem andern der ehemaligen Republikaner zur
Monarchie übergehen sehen: den Aufrührer Andrássy, den Verschwörer
Crispi, den Revolutionär Miquel: sie sind Minister geworden, mit Orden
bedeckt, Günstlinge der Monarchen. Die liberale Bourgeoisie und die
sogenannte Intelligenz, die in den Vierziger-Jahren die hoffnungs-
vollen Kerntruppen der Zukunftsrepublik bildeten, haben alle Lust,
Barrikaden zu bauen, verloren und für ihren Thätigkeitsdrang Spiel-
raum in einem zahmen Parlamentarismus gefunden. Und die grossen
Massen stehen der rein formellen Frage: Monarchie oder Republik?
ziemlich gleichgiltig gegenüber. Sie tritt für sie ganz in den Hinter-
grund um die reellere und substanziellere Frage: Capital und Arbeit,
Selbsthilfe oder Staatshilfe. Es sind nicht mehr die Könige, die den
Reformverlangern zu Leibe wollen, sondern die Capitalisten und
Arbeitsherren, und diese, das wissen sie, sind nicht minder mächtig
in Mac Kinleys Republik als in dem Kaiserreich Wilhelm II. Ihr
Ziel ist weit mehr socialer und ökonomischer als politischer Natur,
und ob das Programm unter einem König oder einem Präsidenten
durchgeführt wird, ist für sie eine unwesentliche Nebensache. Die
Discussion um die Staatsverfassung spielt nicht mehr die alte Rolle:
die Zeit ist vorüber, die akademischen Probleme haben den praktischen
weichen müssen. Und all diese Dinge zusammen haben es herbeigeführt,
dass die republikanischen Aussichten in Europa nun ferner gerückt sind,
als sie vor einem Menschenalter es zu sein schienen.

Die Ablösung des Absolutismus durch constitutionelle Zustände
ist für die Monarchen noch mehr als für die Völker ein ungeheurer
Gewinn gewesen. Die Könige haben dadurch ihre Throne gesichert,
sie haben die Bürde der Verantwortung auf die Schultern der volks-
gewählten Versammlungen abgewälzt, ohne dass sie dafür auf so
sonderlich viel von ihrem factischen Machtgebiet verzichtet haben.
Freilich hat man gesagt, die Monarchie habe den grössten Theil ihrer
ehemaligen Attribute verloren, und bei einem parlamentarischen Regime
sei es nicht mehr der Fürst, der regiert, sondern das Volk und dessen
Vertrauensmänner. Es ist wieder und wieder ausgesprochen worden,
dass in Ländern, wie z. B. Italien oder Belgien, der König mit weniger
Machtfülle ausgerüstet ist als der Präsident in den Vereinigten Staaten,
und im Grunde genommen nichts anderes sei als eine decorative
Figur, die nur aus alter Gewohnheit noch mit den bedeutungslosen
Formen der Unterthänigkeit umgeben ist. Aber das sind nur schöne
Illusionen. In Wirklichkeit ist der decorative Apparat und die feierlichen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 918, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-24_n0918.html)