Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 919

Nationales Königthum (Ibsen, Dr. Sigurd)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 919

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NATIONALES KÖNIGTHUM. 919

Formen niemals bedeutungslos, im Gegentheil sie sind an und für sich
eines der probatesten Mittel, die Sinne und den Willen der Menschen
zu hypnotisieren.

Und dann kann man die Macht der Monarchen auch nicht nach
den Paragraphen der Constitutionen allein bemessen: man übersieht
dabei, dass sowohl innerhalb als ausserhalb des Geheges der Verfassung
allerhand Wege sind, auf denen die Könige ihre persönlichen Wünsche
und Anschauungen zur Geltung bringen können.

Ich rede hier nicht von England, das in der Beziehung längst
eine Sonderstellung eingenommen hat, sondern von den Monarchien
des Continents, in denen, ohne Ausnahme, das Verhältnis derart ist,
dass der Monarch noch immer der mächtigste Mann in seinem Reiche
ist. Es hat Minister gegeben, die man allmächtig genannt und dafür
gehalten hat: so Bismarck in Deutschland, Stambulow in Bulgarien.
Allmächtig waren sie auch in gewissem Sinne, d. h. sie waren es,
so lange ihre Herren ihnen gestatteten, es zu sein. Als der Herr ihnen
die Thür zeigte, erhob sich nicht eine Hand zu ihrer Vertheidigung,
und man bekam deutlich zu sehen, wer in einer Monarchie schliesslich
der Mächtigste ist.

Was nun die Parlamente anbetrifft, greifen sie allerdings in alles
ein, was die Gesetzgebung und die Finanzen anbetrifft, in die ganze
civile und innere Verwaltung; aber auf zwei der wichtigsten Gebiete des
Staatslebens, dem diplomatischen und militärischen, ist ihr Einfluss
sehr gering. Hier herrscht, kann man wohl sagen, noch eine Art
Autokratie.

Die äussere Politik wird thatsächlich vom königlichen Cabinet
geleitet und in Bezug auf die Administration und das Commando des
Heeres und der Flotte schaltet und waltet der König nahezu mit
unbeschränkter Autorität. Die Rolle der Parlamente beschränkt sich
in der Regel für das Auswärtige darauf, mit Interpellationen zu kommen,
die der Minister mit ausweichenden Redensarten beantwortet, und auf
militärischem Gebiet die Zahl der Soldaten, Kanonen und Schiffe zu
bestimmen und die nöthigen Geldmittel zu bewilligen.

Die Monarchen haben alle Ursache, zufrieden zu sein: die Con-
stitutionen haben ihnen wenig gekostet und sehr viel eingebracht.
Aber es sind doch nicht diese oft recht jämmerlichen Verfassungs-
gesetze allein, die so grosse Dinge bewirkt haben. Es ist noch ein
anderer Umstand hinzugekommen — und damit berühre ich mein
eigentliches Thema — die Monarchie hat noch ferneren Nutzen aus
der specifischen Nationalitätsbewegung unseres Jahrhun-
derts
gezogen. Diese Strömung wurde, wie man weiss, lange Zeit
als revolutionär bekämpft, aber Cavours und Bismarcks Genie leitete
sie endlich in monarchische Canäle hinein. Die beiden Staatsmänner
leisteten damit der Monarchie sowohl in ihren eigenen als auch in
fremden Ländern einen ausserordentlichen Dienst. Von der Wieder-
herstellung der deutschen und italienischen Einheit unter Anführung
der Könige datiert das erneute Prestige der europäischen Monarchien.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 919, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-24_n0919.html)