Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 928
Text
Eigenthum einzelner an Grund und Boden, d. h. das Recht des ein-
zelnen, andere von der Benützung »seines« Bodens auszuschliessen,
gleichviel ob er selbst ihn benützt oder nicht, ersetzen will durch
das altgermanische »Nutzungsrecht«, das dem Inhaber zwar erlaubt,
lebenslänglich auf seinem Grundstück zu verharren, es zu vererben,
eventuell auch zu verkaufen — aber nur unter der Bedingung, dass
der Inhaber, resp. Erbe oder Käufer das Grundstück selbst bewohnt
und bewirtschaftet; andernfalls gilt das Grundstück als erledigt und
fällt an die Gemeinschaft zurück, wie einst ein erledigtes Lehen an
das Reich. Auch mit diesem Vorschlag hat Oppenheimer zweifellos
Recht. Und zwar nicht aus dem Grunde, den er selbst ausdrücklich
anführt, dass nämlich jedes private Eigenthum an Grund und Boden
principiell eine »Bindung des Bodens« bedeute und die Gefahr in sich
schliesse, dass sich die Bevölkerung früher oder später, schneller oder
langsamer in Monopolbesitzer und Proletarier scheide; sondern auch
darum, weil für den Kleinbauern das römisch-rechtliche Eigenthum das
Recht und die Versuchung bedeutet, sein Grundstück mit Hypotheken
zu belasten, bis es überschuldet ist und unter den Hammer kommt,
eventuell irgend einen gemeinschädlichen Latifundiencomplex vergrössern
hilft. Der Siedler nach Nutzungsrecht dagegen kann nur persönliche
Schulden machen, aber keine Hypotheken aufnehmen; folglich kann
sein Grundstück immer wieder nur an einen selbstwirtschaftenden
Bauern übergehen — so lange nämlich die Organisation intact bleibt,
von der er Haus und Acker zu Lehen trägt. Um eine spasshafte
Illustration zu geben: Einem bekannten deutschen Dichter sind zu wieder-
holtenmalen sämmtliche Möbel gepfändet worden, sogar das unentbehr-
lichste Dichtermöbel, sein Schreibtisch. Nun aber hat ihm ein be-
freundeter Verein einen neuen Schreibtisch — nicht etwa geschenkt,
denn das wäre doch nur ein Geschenk an die Manichäer des grossen
Lyrikers gewesen, sondern unter Wahrung des Eigentumsrechtes ge-
liehen. An dem Siegel »Eigenthum des Schriftstellervereines zu X«
scheitern seither alle Pfändungsversuche: — dem Nutzungsrecht
des Dichters auf seinen Schreibtisch können die Gläubiger nichts an-
haben.
Doch zur Sache. Ein aus einem Bauernlande hervorgegangener
Theoretiker hätte auf Grund der vorstehenden Erwägungen vermuthlich
etwa folgendes Schema aufgestellt: Hat man ein Gutsgebiet zum
Zwecke genossenschaftlicher Besiedlung erworben, so schneide man
aus dem verfügbaren Terrain zunächst einen entsprechend grossen
Gemeindewald und eine den Bedürfnissen aller genügende Gemeinde-
weide (Allmende) heraus, reserviere dann noch ein paar Baugründe für
öffentliche Gebäude, den Rest aber zerlege man in lauter gleich grosse
bäuerliche Parcellen, die den einzelnen Mitgliedern in Erbpacht über-
geben werden. Dem eigenen Gutdünken der einzelnen neugeschaffenen
Bauern bleibt es dann überlassen, inwiefern sie sich auch noch an
anderweitigen genossenschaftlichen Einrichtungen betheiligen wollen:
Rohstoffgenossenschaft, gemeinsame Maschinen, gemeinsame Molkerei
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 928, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-24_n0928.html)