Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 21

Hellenismus und Gothik Impressionisten (Schmitz, Oscar A. H.Rilke, Rainer Maria)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 21

Text

RILKE: IMPRESSIONISTEN.

einer gothischen Sehnsucht ist. Die
letzte Renaissance ist hinter unserem
Rücken zusammengebrochen. Wir müssen
von neuem aufbauen, um unserer Sehn-
sucht — dem einzigen, was wir bis jetzt

haben — Gestalt zu geben. Möge ein
kommendes Geschlecht — im Schatten der
Denkmäler unserer Sehnsucht erwachsen
— das Leben griechischer finden, als wir
es angetroffen.*

* Ad Apollinem, ut ab Italis cum lyra ad Germanos veniat (Conrad Celtis, ars versi-
ficandi 1486). The god coming to Germany from some more favoured word beyond it, over
leagues of rainyt hill and mountain, making soft day there: that had ever been the dream
of the ghostridden yet deep-feeling and certainly meek German soul; of the great Durer for
instance, who had been the friend of this C. C. and himself, all German as he was, like a
gleam of real day amid that hyperborean German darkness. (Duke Karl of Rosenmold.) Ich
citiere diese Stelle aus W. Paters Imaginary Portraits unübersetzt, um mir nicht von neuem
den Vorwurf des Mangels an Patriotismus zuzuziehen; denn ich nehme an, dass meine chauvi-
nistischen Widersacher consequent genug sind, nur deutsch zu verstehen.


IMPRESSIONISTEN.
Von RAINER MARIA RILKE (Schmargendorf bei Berlin).

Es wird von der Erstaufführung der
»Neo-Impressionisten« im Salon Keller und
Reiner in Berlin zu reden sein. Vor dieser
ruhigen Rahmenkunst fühlt sich die Menge
machtlos und also bleibt sie anständiger
als bei Premieren im Theater. Was nützte
Lachen, Lautsein oder Pfeifen diesen ernsten
Bildern gegenüber, welche wie fremde,
tiefe Augen, über den winzigen Beschauer
fort, in die Sonne schauen?

Man hat da zuerst das Gefühl: das
Licht ist besiegt. In der umrandeten Lein-
wand entfaltet sich alle Pracht eines süd-
lichen Sommertages, und wo es Abend
wird im Bild, da ist des Glanzes kein
Ende. Das ist nicht mehr jenes Licht, das
flüchtig wie ein Lächeln über die Dinge
rollt, immer vor dem Schatten bang, der
hinter allen Kanten wartet. Dieses Licht
ist die Seele der Dinge, die wie ein Meer
in langen Wellen bis an ihren Rand flutet
und dort schimmernd zurückfällt in sich
selbst. Das ist der Pantheismus des Lichtes.

Und pantheistische Zeiten kommen von
einer grossen Liebe her und aus einem
wahren Glauben. Sie sind dann, wenn der
Mensch freigebig und gütig wird gegen
Gott. Wenn er nicht fassen kann, dass
Gott Raum hat in einem fernen Himmel
und ihm alles schenkt, was er schaut,
fühlt und weiss, damit jener sich ausbreite
und ruhe. Denn der Gott, der hoch über
den Welten wohnt, hat ein gebücktes,

mühseliges Dasein und wenig Raum; wenn
sich ihm aber das All aufthut, so sinkt
er zurück in das breite Lager dieser tausend
Dinge, streckt seiner Glieder winkelmüde
Gelenke und träumt.

Selig sind die Zeiten des ruhenden
Gottes. Die Menschen, die mit leiseren
Händen seine Ruhstatt rüsten, haben etwas
von der unendlichen Liebe der Schaffenden,
sind wie Künstler.

Deshalb werden Künstler, die irgend-
einen Pantheismus haben, weit über sich
selbst hinauswachsen, weit über die Zeit.
Wenn sie Bilder machen, wird man immer
glauben, dass sie viel mehr können als
das. Und man fühlt das vor vielen von
den »Alten«. Die Neo-Impressionisten sind
nicht die ersten Künstlerpantheisten. Die
Primitiven des Trecento waren es von
Grund aus. Aber ihr Gott war dunkel, seine
Geberde unmalerisch. Seurat und die neben
ihm hingegen haben den leuchtendsten
Gott, das Licht selber, erwählt und ihre
Bilder erzählen alle denselben Mythus.

Eigentlich verkünden jetzt alle Künste
— ihn. Denn indem sie immer einfachere
Mittel brauchen, streben sie alle zu dem
grosssen Einen, in welchem die Unter-
schiede sich versöhnen, in welchem das
Viele still und restlos aufgeht. Sie wollen
endlich alle nur sieben Farben brauchen
und nicht hundert; denn die sieben sind
rein und elementar und waren vor dem

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 21, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-01_n0021.html)