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Dante, Lamartine, Shakespeare, Tasso
mussten gedichtet haben. Die Meister des
gregorianischen Gesanges, Bach, Beethoven,
Berlioz mussten ihre musikalischen Werke
geschaffen haben. Dann konnte ein grosser
uomo universale wie Liszt von allen
grossen Werken und Gedanken zweier
Jahrtausende befruchtet, sein Tagewerk
schaffen. Er ist ein Zusammenfasser
höchster Art. Ein abschliessender Organis-
mus, welcher durch die höchste Reife
— wie eine alte Geige — tausendfach
verfeint, harmonisiert, durchbildet ist. Selbst
sein Christenthum ist ein letztes Bildungs-
product. Nicht wie das Christenthum von
Goethe, Schopenhauer, Wagner eine
unmittelbare Blüte des innersten Lebens
und Empfindens, eine Gewissheit, eine
innere Wahrheit: sondern das Zeichen
der schönsten Vergeistigung, eine aristo-
kratische Cultur des Denkens. Mit seinem
christlichen Empfinden steht er deshalb
nicht wie z. B. Schopenhauer an den
Thoren einer neuen Zeit, sondern am
Ausgange einer alten und endenden Epoche.
Man zählt Liszt zu den musikalischen
Vertretern eines kommenden Reiches, zu
den modernen Künstlern. Er ist eher ein
vollendet cultivierter Reactionär. Wenn er
die sogenannten modernen Formen der
Musik anwendet, thut er es in literarischer
Weise; sie sind ihm ein Ausdrucksmittel
neben vielen anderen. Neben modernen
Messen schreibt er gregorianische und in
der »Heiligen Elisabeth« stehen wie im
»Christus« musikalische Ausdrucksformen
des XIX. und des VI. Jahrhunderts dicht
nebeneinander. Er steht mit seinem musi-
kalischen Schaffen ebenso wie mit seiner
literarischen und religiösen Cultur rück-
gewendet, rückschauend am Ende zweier
Jahrtausende. Moderne Musik schreibt er
als kosmopolitischer Musikliterat, nicht als
Musikrevolutionär: ohne das Empfinden
der Entwicklungsmöglichkeit und -Noth-
wendigkeit dieser Musik.
So lebt, mit einigen Strichen skizziert,
die Gestalt Liszts vor mir; eine aristo-
kratische Persönlichkeit von höchster Bil-
dung, einer bewunderungswerten Univer-
salität, der besten Cultur des Geistes und
der Empfindung.
Ist Liszt ein vollendeter Vertreter zweier
Jahrtausende europäischer Cultur, ein fürst-
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licher Reactionär, ein Repräsentant der
Vergangenheit: so lieben wir in der Fürstin,
zu deren Gedenken das Liszt’sche Oratorium
gespielt wurde, eine Repräsentantin eines
kommenden Reiches. Liszt ist ohne den
Zusammenhang mit der alten abendländi-
schen Culturwelt nicht denkbar: unsere
Kaiserin ist von dieser vollkommen los-
gelöst und sucht allein mit ihren inneren
Welten ihre neuen Wege. Auf weiten
Ritten über öde Heiden, am Meere
und auf stillen Inseln, im Hochgebirge:
überall, wo die Natur gross, weit und un-
berührt ist, athmet sie frei. Ein paar Zeilen
Heines und ein paar Verse der Odyssee
haben ihr die ganze europäische Dichter-
und Denkerwelt aufgewogen. Sie ist eine
grosse, stille »anima immaculata«, welche
nur auf die Stimmen ihres Innern horcht
und in ihrer Seele jede Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft trägt.
Zwei völlig feindliche Welten stehen
in den Gestalten Liszts und der Kaiserin
Elisabeth nebeneinander. Der höchst com-
plicierte Vertreter der europäischen Cultur-
welt, und die Repräsentantin eines neuen
Geschlechtes der Menschen, welches einfach
und demüthig alles Fremde von sich ab-
thut und nur den Gewissheiten, Träumen
und Bekümmernissen ihrer Seelen lebt.
Die Gestalt Liszts ist vielleicht blendender,
mannigfacher in ihren Interessen; die Ge-
stalt Elisabethens einheitlich tiefer, reicher.
In ihr ist jener Zustand der Seele ver-
wirklicht, von dem Emerson sagt: »Wenn
die einfältige Seele göttliche Weisheit
empfängt, dann schwindet alles Alte —
Mittel, Lehrer, Bücher, Tempel fallen; der
Augenblick ist Leben; Zukunft und Ver-
gangenheit schliesst die gegenwärtige
Stunde ein!«
An dem Zustande einer solchen, in sich
gefesteten, grossen, einfachen Seele ge-
messen, scheint einem alle Musik, welche
bis heute geschaffen worden ist, belastet
mit Jahrhunderten von musikalischen
Culturen, voll von bitteren Kämpfen, voll
von schwerer Arbeit. Die Tragödien im
Leben Beethovens und Wagners sind ihr
grandioses Ringen, zu jenen Höhen reinsten
Menschenthums zu gelangen, auf welchen
jene Fürstin nachtwandlerisch einherge-
geschritten ist. Und auf den besten Werken
jener Künstler, denen dies in ihrer gött-
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