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Die breite Masse des Menschenthums
reiht sich in den sittlichen Gegensätzen
von gut und bös ein. Gut und bös sind
Kategorien des praktisch socialen Welt-
niveaus. So wie die kosmischen Unter-
schiede von Tag und Nacht das mannig-
faltig reiche Weben und Werden der
Naturwelt regieren, so regieren die ethi-
schen Unterschiede von gut und bös das
vielverschlungene Triebwerk der praktischen
Welt. Über diese erhebt sich das Supragute
oder Edle und unter diesen steht das Souter-
böse oder Grausame. Das Essentielle der
Kategorien von gut und böse beruht auf
dem Stärkegrad des Egoismus; die Kategorie
des Edlen beruht auf der Macht des hehren
Idealismus; die des Grausamen auf Gefühls-
idiotismus. So weit als der Egoismus mit
Rücksicht auf den andern gezähmt wird,
so weit als man seine Interessen zurück-
drängt, um andere zu fördern, handelt man
sittlich gut; umgekehrt wieder, handelt
man sittlich schlecht oder bös, wenn man
aus egoistischem Interesse, also aus selbsti-
schem Vortheil, den andern zu beein-
trächtigen und zu schädigen sucht. In
beiden Fällen ist das Handeln motiviert;
das Supragute oder edle Handeln ist nicht
durch Vernunfterwägungen motiviert, son-
dern enthusiastisch inspiriert; wenigstens
ist dies das genetisch Vorherrschende in
ihm, wie es schon das Wort bezeichnet:
dass »der Verstand mit dem Herzen durch-
gegangen« ist. Die souterböse oder grau-
same That erfolgt meistens grund- und
zwecklos aus bestialischem Trieb. Diese
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polaren Gegensätze befinden sich oberhalb
und unterhalb von gut und bös; der eine
Theil des Gegensatzes gehört dem azur-
reinen Idealreich an, in dem auserwählte
Naturen ihre Inspirationen schöpfen; der
andere Theil gehört dem pestilenzartigen
Infernalgebiet an, in dem thierische Ver-
worfenheit stumpfsinnig brütet. Zwischen
diesen Extremen bewegt sich der breite
allgemein menschheitliche Strom, in dem
gut und bös die Springpunkte der Bewegung
sind. Ist das letztere das Rührigere und
Thatkräftigere, denn es ist aggressiv und
parasitisch; es greift an und nützt aus
— so ist das erstere Ordnung stiftend
und wohlthuend; es stellt die von jenem
gestörte Ordnung wieder her und heilt die
von jenem geschlagenen Wunden. Dass
das Böse immer neue Motive ins Leben
hineinbringt, dass es in den mannigfaltig-
sten Zügen seine Angriffe auswirbelt und
dass es dadurch — wenn gleich in ne-
gativer Weise — sollicitierend auf die
Bethätigung des Guten einwirkt — darin
liegt — es lässt sich nicht leugnen —
ein Moment des Interessanten, in seinem
sonst verdammungswerten Wesen. In
diesem Sinne ist auch die Äusserung des
bedeutendsten Mystikers, J. Böhme, zu
nehmen, dass das Böse »eine Ursache
des Lebens und des Lichts sein muss, aber
nicht offenbar.«* »Nicht offenbar«, somit
als negativer Sollicitationsfactor! Nach
der neutestamentarischen Anthropomorphi-
sierung des Bösen entstand es secundär
durch Abfall vom Guten; denn aus dem
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