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verbrecherische Bühnenhelden zeigen
sich feige, wie z. B. Franz Moor oder
Richard III., der mit dem stürmischen Ver-
langen nach einem Pferd der Lebens- oder
Todesangst in seiner Brust entfliehen
möchte. Der parasitische Mensch hängt
aber besonders am Leben; er ist reale,
energische Bejahung des Willens zum
Leben. Doch will er nicht nur das blosse
Leben, sondern er will es auch in einer
behaglichen Form, und das will er nicht
allein für sich selbst, sondern auch für
den engen, den allerengsten Kreis seiner
Angehörigen. Der Parasitist ist von leb-
hafter Fürsorge für diejenigen seiner An-
gehörigen, die zu seinem eigenen Lebens-
behagen beitragen. Und deshalb wohl
empfiehlt Kant den jungen Mädchen der
Werbung eines Egoisten Gehör zu
schenken. Der mutualistische Mensch mit
seinem ausgedehnten Vorstellungshorizont
und mit seinem über die Allgemeinheit
ausgedehnten Wohlwollen vermag weniger
sich den häuslichen Penaten zu weihen.
Das ahnende Gefühl, dass seine Nähe das
Zutrauen des Scheuen und das Gemüth
des Traurigen löst, drängt ihn immer
wieder aus dem engen eigenen Kreis
hinaus, und er fühlt sich gehoben, ein
Arzt gegen die Wunden des Schicksals zu
sein, sowie Einfluss auf die Directive ge-
meinnütziger Angelegenheiten zu besitzen.
Die sittlich böse Action ist aber die
unmittelbarere, ähnlich wie in der biolo-
gischen Sphäre und ergreift damit unge-
wollt die Initiative zur Auswirkung der
moralischen und praktischen Kräfte. Da
sich das Böse auf Hintertreppen bewegt,
so hat es umsomehr nöthig, alle Hilfs-
mittel aus sich auszupumpen; »Bosheit
vergeistigt«, sagt Nietzsche (Jenseits von
gut und bös, p. 164). Es vergeistigt, weil
es für seine Ziele schwierigere Mittel als
das Gute aufbieten muss, und weil mit
seiner Rücksichtslosigkeit die Hemmung
für die Auswicklung seiner Kräfte entfällt.
Doch der Geist der Parasitisten bleibt,
wenn er auch der Welt zu schaffen gibt,
immer in der Bahn seiner eigennützigen
Tendenzen eingedämmt. Wenn z. B. der
Exmajor Esterhazy durch seine Ver-
schlagenheit und durch seine tückischen
Finessen die Welt noch so sehr in
Spannung erhält, so ist er deshalb
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dennoch kein Geist im Sinne einer be-
grifflich geklärten umfassenden mutua-
listischen Intelligenz. Aber das in Spannung-
erhalten und das Zuschaffengeben sind
eben interessante Züge im Bösen. Und
dass diese Züge sich im Nichtseinsollenden
und moralisch Verwerflichen befinden,
verursacht einen agacirenden Widerstreit,
der den Stimmungszuständen noch einen
aufstachelnden Accent verleiht.
Dass das aggressive, thatenwuchernde
Darleben des rücksichtslosen parasitischen
Menschen in lebhaftere Erregungen ver-
setzt als die gelassen vornehme Haltung
des mutualistischen, das zeigt auch evi-
dent das Schauspielhaus. Der diabolische
Richard III., hinter dessen Schritten die
Missethaten empordampfen, übt selbst auf
nervenzarte Frauennaturen eine grössere
Anziehung aus als der abendfeierlich
milde Nathan. Allerdings steht Richard III.
schon so hart an der Kante des Souter-
bösen, dass nur der Umstand, dass seine
Blutthaten nicht zwecklose Grausamkeits-
lust, sondern höllische Auswüchse seines
Strebeziels sind, d. h. dass sie Mittelzweck
sind, es noch gestattet, ihn unter den
Parasisten zu nennen. In demselben Grade
erhebt sich der lautere Nathan über die
Mutualisten zu den Supraguten oder Edlen;
allein was Nathan doch nicht zum Bürger
dieses Reiches der isolierten Auserlesenen
macht, ist, dass er bei allem seinen gross-
müthigen Handeln und bei aller seiner
vornehmen Gesinnung doch nicht selbst-
aufopfernd für das Princip der Glaubens-
freiheit eintrat.
Das Grausame, das tief unterhalb des
sittlich Bösen steht, flösst kein anderes
Gefühl als das des Grauens und Abscheus
ein. Es ist auch für sein beabsichtigtes
Resultat vorwiegend zweckloser als das
parasitisch Böse, das doch manchmal die
Nemesis zum Schwanken bringt. Der
Grausame erreicht das Strebeziel seiner
Blutthaten fast nie, wie dies auch beim
Bühnenungeheuer Richard III. der Fall ist.
Auch für die grosse allgemeine Entwick-
lung ist das Grausame ein fruchtloses
Moment, es steht zu tief, um zu einer
Messung der Kräfte durch Reibung zu
provocieren wie das Böse; man begnügt
sich, es zermalmen zu wollen. Vollends
flösst es einen aus allen Fasern empor-
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