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unsere ganze neue Frömmigkeit, unsere
ganze neue Heiligkeit. Unsere Heiligen
fliegen nicht mehr in den Himmel, sie
steigen auch nicht mehr von den Wolken,
sie haben keine blauen Seidengewänder,
keine goldenen Kronen, keine steifen
Lilien und keine bluttriefenden Marter-
werkzeuge. Sie knien nicht mehr in Ver-
zückung vor seltsamen, weltfremden Er-
scheinungen; keine suggestiven Augen
buhlen mehr aus mystischen Nebeln, lügen
mehr von fernen Himmelreichen, von
unglaublichen Seligkeiten, von hoffärtiger
Grösse. Sie haben keine königlichen
Wunderhände, die des Lebens Nöthe
in duftende Rosen verwandeln: Auf der
Erde wandelt unsere Heiligkeit, unsere
lebenssprühende, fruchttragende Erde ward
unsere Andacht und unser Altar.
So ist die heilige Gudula. Ich kenne
nicht ihre Legende; vielleicht gibt es gar
keine über sie. Aber das Bild erzählt
mir alles. Leise und gedämpft, wie man
in der Abenddämmerung spricht, so erzählt
es Leben, Leiden und Seligkeit der heiligen
Gudula. Sie weilt unter uns, diese Heilige;
heute vielleicht begegnet sie uns, diese
Heilige unserer Tage — und wir sehen
sie nicht.
Jetzt ist die Dämmerstunde. Die
Glocken haben den Abend eingeläutet;
alle Farben verschwimmen, alle schrillen
Töne des arbeitenden Lebens sind ver-
klungen; ein gütiges Nebelgrau sinkt über
die Stadt und ihre Gärten. Nun gehen
die Dienstboten aus. Ihr Tag war eine
lange Plage, ihr Dienen ist hart, ihre
Mühe ohne Dank. Ihre Musse ist kurz;
zu kurz sogar, um abends neue Kleider
anzulegen. Ihr Lohn ist neue Arbeit und
böse Worte, scharfe Blicke oder stolzes
Hinwegsehen. Sie feiern, nur um zum
Weitermühen zu taugen; ein harter
Arbeitstag ist der Kaufpreis ihres Geschickes
für neue, härtere Arbeitstage. Nun gehen
sie auf eine Stunde aus, um sich zu
erholen; dann müssen sie wieder dienen;
das Bier zum Nachtmahl bringen und die
Betten für die Herrschaft richten, dass
die Decken weich und die Polster glatt
sind, und müssen so ihr ganzes Leben —
verschenken.
So geht auch die heilige Gudula fort.
Sie hat sich müde geplagt, hat Dielen
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gescheuert und Fenster geputzt, das
Geschirr gewaschen, die neuen feinen
Hemden des Herrn gebügelt. Sie musste
viel schlimme Worte hören, denn sie hat
den grossen braunen Krug zerschlagen
und den Milchreis anbrennen lassen. Da
hat sie die Frau gezankt und hat sie ein
dummes Frauenzimmer, eine ungeschickte
Person vom Lande genannt, die alles zer-
schlägt, was sie in die plumpen Hände
nimmt, man wird ihr vom Lohn abziehen,
oder sie gar entlassen und so in der
Tonart, oder noch weniger fein. Aber die
heilige Gudula murrt nicht. Und dann
liess die gnädige Frau noch alle ihre
Müssiggangsgalle auf sie aus, liess sie allen
anderen Ärger entgelten, an dem sie
schuldlos war, hat sie tausendmal weg-
geschickt und wieder gerufen und wieder
fortgejagt, nach Laune und Unlust. Aber
die Heilige hat alles mit Gleichmuth hin-
genommen, ohne Frage, ohne Antwort;
denn es muss ja doch so sein; die Frau
ist einmal nicht anders, und sie, die Gudula,
ist ja wirklich so ungeschickt und so tölpel-
haft; und kein Wunder fügt ihr Zer-
brochenes wieder zusammen und ver-
wandelt schlechte Speisen in Rosenzweige.
Aber dann hat sie die Menschen doch so
gern, alle, auch die sie quälen — die
vielleicht am meisten — und kann gar
nicht zürnen in ihrer grossen, grossen
Güte. Sie überhört die Schimpfworte der
Frau und übersieht mit ihren grauen Augen
die Gemeinheiten des Herrn — und wenn
Feuer über sie fiele, glitte es an ihrem
Gleichmuthe ab wie Mairegen. Das ist
ihr Wunder. Sie ist nicht in dem Hause
Nr. so und so viel, bei Frau Doctor so
und so: sie ist in Gott, in ihrem Gott.
Und jetzt ist sie müde und geht an die
Luft. Weiter denkt sie nicht. Sie setzt
sich hin, wo alle Dienstboten sitzen, in
den Park gleich vor der Stadt, wo die
Mädchen auf die Soldaten warten. Viele
sind noch allein, andere haben sich schon
zusammengefunden. Sie sitzt auf ihrer
Bank, sie wartet auf niemand, sie denkt
an keinen.
Sie überschaut noch einmal ihren Mühe-
tag, und gönnt einem jeden das seine,
und weiss nur, es muss so sein, es ist
eben nicht anders. Sie sieht nicht, dass
auf ihrer Bank noch Platz ist; und wenn
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