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und drückt uns die Sonde in die Hand:
»Bitte bedienen Sie sich!« Interessant ist
das ja sicher; vielleicht liegt auch ein
gewisser Heroismus ad majorem dei
gloriam darin: Ich empfinde da aber mit
dem vollständigen Mangel an künstle-
rischer Gestaltung auch den ebenso voll-
ständigen Mangel an Seelenscham. Es
ist die Schamlosigkeit der Krüppel, wie
sie z. B. im Süden massenhaft Brücken-,
Plätze und Kirchenstiegen belagern, indem
sie ihr Gebrechen nicht verhüllen, sondern
schreiend zur Schau stellen, sich dessen
rühmen oder es noch grösser erscheinen
lassen möchten — und um ein Almosen
betteln. — Hier um ein Almosen für das
verarmte, bedrängte »Frauenrecht« (droit
de chaque nuit).
C. v. L.
Die eherne Schlange. Von Thomas
P. Krag bei Albert Langen. — Die alte
biblische Fabel ist dem Autor ein Symbol
für Sinn, Zweck und Wesen des Kunst-
werkes. Es ist eine eherne Schlange. Ein
zum Troste des Volkes vor der Mensch-
heit erhöhtes Abbild des Lebens, der wirk-
lichen Schlange, deren Biss unfehlbar
tödtet. Nicht aus Gold oder Silber soll das
Abbild sein, nicht idealisiert; ehern, so wie
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es wirklich ist. Dann wird das Kunst-
werk das grosse Wunder vollbringen, und
das Volk durch seinen Anblick gefeit
sein. Kräftige Symbolik, Plastik der Ge-
staltung bis ins Kleinste, und eine unerhört
schöne, fast mystisch-unabweisliche Natur-
stimmung, die ganz ohne breite Schilde-
rung erreicht wird, sind die Zeichen
echtesten Künstlerthums. Nur scheint der
Autor seine Kraft nicht zu kennen, und
ich weiss nicht, ob die eherne Schlange,
die er aufgerichtet, dem Volke Trost ge-
währen kann. Denn, wenn die wirkliche
Schlange durch das Gift ihres Bisses tödtet,
diese eherne, muss durch den blossen
Anblick tödten können. Ich meine, in dem
Wunsche, nicht zu beschönigen, schildert
Krag das Leben trauriger, als es ist. Ein-
fach trostlos ist manches in diesem Buche.
Man muss schon von guten Eltern sein,
um da noch zwischen zwei Capiteln eine
»Kyriazzi« zu savourieren. Aber der Tiefer-
blickende erkennt doch, dass dies kein
Pessimismus der Schwäche ist, sondern
das Überschäumen einer noch nicht ganz
gebändigten Kraft. Die errichtet eherne
Schlangen mit bösen Medusenblicken —
aber sie feiert auch ihr Versöhnungsfest.
C. v. L.
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