Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 176

Hof-Operntheater: Haydns »Apotheker«; Lortzings »Opernprobe« Burgtheater: »Herostrat« (Graf, Dr. MaxLevetzow, Freiherr Carl von)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 176

Text

THEATER.

Burgtheater. »Herostrat«, Tragö-
die (deutsch: trauriges Drama) in 5 Auf-
zügen von Ludwig Fulda. Endlich ein-
mal ein Abend in dem noch immer mit
unberechtigter Erinnerungsseligkeit »Burg«
genannten Theater — der keine Ent-
täuschung brachte. Mit hochgespannten
Erwartungen giengen wir hinein — Herr
Fulda hat sie noch zu übertreffen gewusst.
Abgründe von Unkunst hat dieser »liebens-
würdige« Reigentanzer des deutschen Par-
nass schon in seiner Lust- und Märchen-
Spielwarenhandlung vor uns aufgedeckt.
In seiner Tragödie hat er es bis zu Un-
ergründlichkeiten gebracht. Ein näheres
Eingehen wäre ein nie zu rechtfertigender
Zeitverlust. Nur so viel sei beiläufig be-
merkt, dass sich ein Kunstwerk und be-
sonders ein Theatersück wohl auf Noth-
wendigkeiten aufbaut — aber nie auf
Selbstverständlichkeiten. Was die Hand-
lung anbelangt, so wird in der bekannten
schlechten Fulda’schen Prosa (die durch
Abtheilung in kleine Zeilen mit grossen
Anfangsbuchstaben und eine gewisse un-
leugbare Regelmässigkeit in der Auf-
einanderfolge von scheinbar betonten und
unbetonten Silben die äussere Gestalt von
Versen parodiert) ein wenig gut und
schlecht gebildhauert, Modell gestanden,
geschwärmt, geliebt und Treue gebrochen.
Im 4. Acte wird dann endlich ein wenig
Tempel angezündet. Und dann kommt
noch ein Act. — Eine hübsche symbolische
Gestalt hat mir der Autor immerhin zu
Danke gezeichnet. Herostrats Mutter ist
blind. So hält sie ihren Sohn noch immer
für einen grossen Künstler, denn sie kann
sein Stümperwerk nicht sehen: Wer diesen
»Herostrat« für ein burgtheaterfähiges
Kunstwerk hält, muss blind und taub sein.

C. v. L.

Hofoperntheater. Die grösste, musik-
historische, culturgeschichtliche und ästhe-
tische Bildung müssen zusammenwirken,

um einer ehrwürdigen, historischen Anti-
quität wie Haydns »Apotheker« zur
lebendigen Wirkung zu verhelfen. Unser
Publicum hat sich das Problem verein-
facht. Es hat das Haydn’sche Werkchen
weder als Ästhetiker, noch als Historiker,
noch als Künstler genossen, sondern als
Moralist. Mit der Contrast-Empfindung
von der Compliciertheit seiner Interessen
und der kindlichen Einfachheit jener Welt.
Eine derartige moralische Ressentiment-
Empfindung hat mit Kunst und ästhe-
tischen Interessen nichts zu schaffen. Sie
ist ein Nothbehelf. Eine Brücke, eine
Laune. Nur eine sehr starke Cultur und
Musiktradition könnten ein Publicum
derart künstlerisch durchbilden, dass es
derartige Werke als lebende Organismen
vollkommen naiv, ästhetisch geniesst. So
wie etwa der Pariser die ältesten Chansons
(z. B. Lullys »Au claire de la lune«)
heute hört und singt Ganz anders
hat das Publicum Lortzings »Opern-
probe
« angehört. Es hängt mit dieser
komischen Oper, welche ebenso wie
das Haydn’sche Werk — wenn auch
von diesem durch einige Menschen-
generationen getrennt — einem Kindheits-
stadium des musikalischen und künstleri-
schen Geistes entstammt, durch die
stärksten Instincte zusammen. Für seine
seelischen Bedürfnisse ist die Kunst der
Biedermännerzeit noch etwas Lebendes,
Echtes, Amüsantes. Es hat doch den Zu-
gang zu Kotzebue’scher Komik. So hat
es auch die Lortzing’sche Oper in völlig
naiver Hingabe, als Blut von seinem Blute,
Fleisch von seinem Fleische, das heisst:
ästhetisch genossen Gustav Mahler,
der am Dirigentenpulte sass, arbeitete den
Orchesterpart mit Geist und Grazie im
Style der Zeiten und der Werke auf das
feinste heraus. Er hat beide Werke als
moderner Künstler historisch empfunden.

m. g.


Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. — Verantwortlicher Redacteur:
Constantin Christomanos.
K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I., Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 176, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-07_n0176.html)