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Geschichte aller Tragödien und Siege der
Wagner’schen Seele herauslesen. Jung-
Siegfried spielt mit diesen neuen Tönen
wie ein Kind mit bunten Steinen. Diese
verwegene Unschuld, Unbekümmertheit
und Harmlosigkeit hat auch das Publicum
entzückt.
m. g.
Drei Landschafter haben wir in
diesen Tagen gleichzeitig in Wien studieren
können: Michetti, den Geschicktesten,
Geschmackvollsten (denn auch er gibt
sein Feinstes in der Landschaft, trotz der
verblüffenden Beherrschung des Figür-
lichen); Theodor von Hörmann, den
Ehrlichsten, den Kämpfer, und endlich
Tina Blau-Lang, die — wie soll man’s
nur mit einem Eigenschaftswort aus-
drücken? — die Liebevollste, Heimat-
treueste. Für die Wiener sollte diese
wienerische Künstlerin viel zu sagen und
zu geben haben, umsomehr, als man
so selten etwas von ihr zu sehen be-
kommt. Denn bisher sind ihre Bilder
draussen weit besser geschätzt als daheim.
Interessant, gewissermassen »kunsthisto-
risch« ist das in ungeminderter Frische
leuchtende, grosse Frühlingsbild vom Prater
(Nr. 1). Es passierte seinerzeit mit Ach
und Krach eben noch die Ausstellungs-
jury im Künstlerhause — um sich dann
gleich in Paris auf dem nächsten Salon
die »mention honorable« zu verdienen
Das war 1882. Und heute? Ungeschwächt
ist die naturfreudige, lichtdurchflutete
Lenzstimmung darin, die hellen Klänge
der Schubert’schen Volksmelodik und die
grosse Ehrfurcht vor der sichtbaren Wahr-
heit. Und doch bin ich überzeugt, dass
gar vielen unserer Allerallerfortschritt-
lichsten diese Malerei nicht mehr secessio-
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nistisch genug sein wird. Das Wort soll
hier wirklich ernst, nicht im populären
Sinne gemeint sein. Es fehlt ihr so ganz
und gar die Tendenz und ist doch alles
so aufrichtig empfunden in dieser
Kunst. Bild oder Skizze, sie ist immer
gleich herzlich und herzhaft. Das Herz
hat die Hand geführt. Das, glaube ich,
ist die Grundnote in der Kunst Tina
Blaus. Die tiefe Schlichtheit und unend-
liche Güte. Ein Stück vom besten Theil
des localen Volkscharakters in ein Volks-
lied gebracht, in einfache, sangbare Har-
monie.
W. S.
Auf staubigen Strassen. Skizzen
von Wilhelm Holzamer. Schuster und
Löffler. — In jedem Menschenleben gibt es
einen Wendepunkt, wo das Schicksal die
Fäden, wie ruhig oder bewegt sie nun
laufen mögen, zu einem Knoten schürzt.
Die Lösung kann nach drei Richtungen
erfolgen: Selbstmord, Wahnsinn, kräftiges
Neuleben. Oder die Negation aller drei
Lösungen, das In Sand-Verlaufen, das
uninteressante Versumpfen. Dies ist das
Grundthema, von dem Holzamer zehn
Variationen gibt. Er nennt sie »Skizzen«.
Gemeint hat er wohl »Novellen«. Die an-
gestrebte Knappheit der Form deutet auf
Kjelland; bei dem Humor (Fritz Tilmar)
hat wohl der beliebte Otto Julius Pathe
gestanden. Aber es ist auch genug Eigenes
darin, und eine gewisse Mannigfaltigkeit
bei der Gleichheit des Themas. So macht
das Buch trotz der allzu skizzenhaften
Unausgeführtheit doch den Eindruck, eine
Etappe auf dem Entwickelungsgange eines
Künstlers zu sein.
C. v. L.
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