Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 326
Text
Iss du und trink: du stirbst bevor es Tag.
Fürwahr, die weise Erde braucht uns nicht.
Lass mich aus deinen Armen nun und flicht
Dein schwüles Haar, das mir so nahe lag —
Dass ich dir diesen Wein credenzen mag,
Bis dir sein Goldglanz flimmert ums Gesicht,
Dein Lied — wie Springflut Schleier wirft ums Licht
Ertöne perlender beim Stundenschlag.
Küss mich, hochbusge Schöne, nun und glaub:
Gar manche gibt’s — sie tragen Stein an Stein
Zu eitlen Gütern und zu eitler Pflicht —
Kommt einmal dann ein Tag, sie sterben nicht —
Sie lebten nie — doch hören auf zu sein;
Und dicht um ihren starren Mund fällt Staub.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 326, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-14_n0326.html)