Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 328

Empfindende Photographien (Gessmann, Gustav W.)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 328

Text

EMPFINDENDE PHOTOGRAPHIEN.
Von GUSTAV W. GESSMANN (Graz).

Wohl vielen Reisenden, welche Ge-
legenheit hatten, Arabien und Nord-Afrika
zu bereisen, dürfte der Ausdruck »Bild-
zauber« nicht ganz fremd klingen. Die
altchaldäische Zauberei hat nach den For-
schungen eines Smith, Talbot, Lenormant
etc. ausser anderen Bezauberungen auch
auf jene durch Bildnisse grosses Gewicht
gelegt, und heute noch findet man in
Arabien und Marocco Nachkömmlinge
jener altchaldäischen Zaubermeister, welche
unter dem Namen der ›Fekihs« mit ihrer
Kunst ein schwungvolles Geschäft treiben.
Der arabische Schriftsteller Ibn Khaldun,
welcher sich der Erforschung dieses Theiles
der Culturgeschichte zuwendete, berichtet
als Augenzeuge über ein derartiges Er-
lebnis. Nach seiner Aussage soll der Bild-
zauber den Zweck haben, einer Person
auf magischem Wege Böses zuzufügen,
sie den Plänen und dem Willen des
Zauberers oder dessen Mandatars gefügig,
oder aber auf unauffälligem Wege ganz
unschädlich zu machen.

Zu diesem Zwecke ist es nöthig, ein
ziemlich genaues Ebenbild der zu be-
zaubernden Person herzustellen, welches
in der Regel aus Wachs, Thon, Erde,
einer Teigmasse oder auch aus Metall
hergestellt wird. Es soll nämlich nach dem
angeführten Gewährsmanne durchaus nicht
gleichgiltig sein, welcher der genannten
Stoffe zur Herstellung des »Ebenbildes«
verwendet wird, da dies von den Absichten
des Zauberers, von der Art des Zaubers,
und nicht in letzter Linie von astrologischen
Verhältnissen abhängig ist. Die Figur wird
unter bestimmten Ceremonien hergestellt
und wenn sie geweiht ist, mit dem Namen
der zu bezaubernden Person genannt. Ist
dies geschehen, so stellt der Zauberer das
so vorbereitete Bildnis vor sich auf, spricht
einige Beschwörungsformeln und speit die
Figur an. Nun wird über dieses symbolisch
bedeutungsvolle Bildnis eine Leine gespannt
und in dieselbe ein Knoten gebunden,

womit angedeutet werden soll, dass der
Magier mit Entschlossenheit und Beharr-
lichkeit handeln und mit dem bösen Dämon,
den er zur Unterstützung seiner schwarzen
Absichten angerufen hat, einen dauernden
Bund eingehen will.

Ist die Handlung soweit gediehen, so
wird die eigentliche magische Procedur
vorgenommen, welche je nach dem Zwecke,
der erzielt werden soll, entweder darin
besteht, dass die Figur in eine bestimmte
Flüssigkeit eingetaucht, mit Nadeln durch-
bort, oder im Feuer verbrannt wird. Die
Flüssigkeiten, in welchen dieses Baden
vorgenommen wird, sind entweder Gifte,
wenn die Person durch Gift umkommen
soll, oder Liebestränke, wenn es sich darum
handelt, Liebe zu erwecken. Mit Nadeln
durchbort wird die Figur, wenn das er-
wählte Opfer durch die blanke Waffe zu
Grunde gehen soll; ins Feuer geworfen
endlich wird sie von dem Zauberer, wenn
man die Person verbrennen will. Es wird
von den Fekihs versichert, dass diese
Methoden des Bildzaubers untrüglich seien,
und immer Erfolg hätten, wenn die be-
treffende Person nicht von dem, was gegen
sie geplant ist, Wind bekommt und recht-
zeitig einen Gegenzauber anwendet.

Wie man sieht, haben diese schlauen
Herren sich für den Fall des Misslingens
ihrer Aufgabe ein recht schönes Hinter-
thürchen offen gelassen, welches sie in
den Stand setzt, das für die magische
Handlung selbstredend im vorhinein em-
pfangene Honorar ruhig und ohne jedwede
weitere Verantwortung einzustreichen.

Es ist natürlich, dass in jenen Ländern,
in welchen die Zauberei in so hohem
Ansehen stand und theilweise heute noch
steht, sich immer Liebhaber, Ehegatten etc.
finden, die entweder mit dem Gegenstande
ihrer Sehnsucht auf diese Weise zu-
sammengebracht oder von missliebig
gewordenen Personen befreit werden
wollen.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 14, S. 328, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-14_n0328.html)