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Es ist so schön, so schön! Es liegt
vor mir und leuchtet mit Goldschnitt und
einem schmalen blauen Seidenbande, das
einen kleinen gelben Rand hat. Und der
Einband — ach, der Einband — ich
möchte tanzen — der ist weissgelb, wie
dicker Rahm, mit einem Goldschmetter-
ling in der einen Ecke — — denk’ nur!
ein Schmetterling von Gold mit aus-
gespannten Flügeln, als ob er direct von
der Sonne käme, just wenn die Sonne
untergehen will, aber noch nicht roth
glüht. Ich bin so froh, dass der Einband
nicht roth ist — das Rothe erschreckt
mich, die Sonne kann ein wenig roth
sein, nur nicht blutroth, wie in den
Augenblicken, da sie hinunter brennt und
erlischt — dann schliesse ich mich ein
und möchte weinen.
Und ein Schmetterling! Er wird
Honigthau von meinen Worten saugen
und dann umherfliegen.
Das Schönste ist, dass das Buch
ganz weiss ist inwendig — so weiss —
so weiss — die Menschen haben nichts
Weisseres gesehen. Es ist nichts Ge-
drucktes und nichts Geschriebenes darin
— aber es soll hinein geschrieben werden,
so zierlich wie gedruckt — wie gedruckt
in Gold und Grün, mit grossen, wunder-
lichen Buchstaben und so kleinen, feinen,
wie die Elfen, wenn sie auf den Zehen in
den Mondschein schleichen!
Kein Mensch weiss, was darin stehen
wird — aber wenn die Engel es lesen,
werden sie singen.
Es war Weihnachten und der Tannen-
baum leuchtete mit freundlichen Flammen,
und da gab mir meine Schwester ein
Paket, wo ich sass und den längst ent-
flogenen Vögeln lauschte. Ich öffnete das
Paket und schrie auf, als ich den Ein-
band sah — dann öffnete ich das Buch
und sah die weissen Blätter — da drückte
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ich das Buch an meine Brust — und
sagte, dass niemand es hörte: Der grosse
Geist gab mir das! Aber meine Schwester
hörte es und sagte: »Ja, Johannes, der
grosse Geist gab Dir das« und sie
lächelte —
Hat Einer meine Schwester lächeln
sehen? Es ist so wunderlich. Ich weiss
nur Eine, die schöner lächelt, aber sie
ist weiss — weisser als die Blätter in
meinem Buch. Meine Schwester ist braun.
Sie hat braune Kleider, gar nicht prächtig,
aber so schmuck — und einen kleinen
weissen Kragen und kleine weisse Man-
schetten und grosse braune Augen — ich
weiss nicht, ob sie schwarz sind — und
gelbbraunen Teint und gar nichts Rothes
darin Sie ist wie ein Herbstblatt,
im Sturm vom Zweige gerissen und vor
einem schwachen Windzug dahin fahrend.
Sie geht still und tanzend — und wenn
sie lächelt, denke ich an das Blatt des
Herbstes und möchte weinen.
Mein Vater war wie die grosse starke
Eiche; und ich bin gross und stark wie
er und — wie wunderlich — in ihm
wohnte der grosse Geist, der mitunter in
mir spricht.
Weiss jemand, warum meine Schwester
so tief trauert, obgleich sie immer so
fröhlich ist? Wir haben nichts darüber
gesagt — es ist so gefährlich zu sprechen.
Und wir sind überein gekommen, dass
sie es mir niemals sagen soll, wenn wir
einsam am Feuer sitzen, und die Däm-
merung über dem Zimmer liegt, und
Mary mitunter eine Thräne fort trocknet
— heimlich, dass ich es nicht sehe.
Dann singe ich ihr leise eine Melo-
die vor — die ich nicht kenne — und
der Regen schlägt leise an die Fenster-
scheiben; und dann sind es diese Worte,
die ich singe, immer und immer wieder:
Weile, weile, weile, kleines braunes
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