Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 369

Das Jugendschiff (Hallström, Per)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 369

Text

DAS JUGENDSCHIFF.*
Von PER HALLSTRÖM (Stockholm).

Es war ein dunkler düsterer Strand
mit steilen Schieferfelsen, das Wasser
schlug dumpf gegen sie an, und ein rol-
lendes Echo kam aus den Grotten nach;
zwischen den Felsen war eine Bucht, wo
ein träge sich schlängelnder Fluss dem
Meere begegnete und mit Mühe seine
Wellen vorwärtsdrängte, die auch dunkel
waren von schlammiger Erde. Die Leute
aus den Fischerhütten liessen die Netze
sinken, beschatteten die Augen mit der
Hand, obgleich die Sonne nicht oben stand,
und spähten hinaus.

Über den geraden Linien von Schaum
und mattem Silberglanz stand weit weg
ein Segel von seltsamer Form, gleichsam
als erhöbe ein riesengrosser Vogel sich
dort; obschon die Entfernung so gross
war, konnten sie sehen, wie es hurtig von
Kamm zu Kamm hüpfte und gerade auf
sie zusteuerte. »Fremdlinge!« riefen sie.
»Lasst uns fliehen!« Und aus den Hütten
eilten, so rasch sie konnten, Weiber und
Kinder und Greise, und alle begaben sich
die Bergabhänge hinauf, Schlupfwinkel
suchend, und mit sich tragend, was sie Kost-
barstes hatten; einige trugen bloss ihre
Netze mit noch zappelnden Fischen darin.

Eine Schar von ihnen traf Lynkeus,
des Königs Diener, und antwortete auf seine
Frage, dass ein fremdes Schiff herankomme,
muthmasslich Räuber, wie alle die anderen.
Lynkeus gieng weiter vor und be-
trachtete es.

»Das ist kein bebrykisches Schiff,«
sagte er, »es gleicht keinem, das ich je
gesehen. Ich will hinab gehen und hören,
was es für ein Volk ist; sollten sie mir
feindlich begegnen und mich gefangen
nehmen, dann eilet zum Hofe des Königs
um Hilfe, denn mit diesem Winde können
sie nicht wieder von dannen ziehen!«

Damit gieng er zum Strande hinab
und harrte der Fremdlinge.

Das Fahrzeug kam immer näher und
näher; nun wurde auch sein Rumpf sichtbar,
der schwarz und hoch war und leicht wie
ein Schwimmvogel auf dem Wasser lag,
das grosse Segel fieng den Wind so schön,
als athmete er ganz und gar hinein, über
der Brüstung leuchteten die Bronzehelme
hart in dem kalten Licht. Lynkeus war
es, als hörte er einen Klang, der nicht
der des Meeres war, er stieg an, breitete
sich aus und versank im Wellenbrausen;
er kam von dem Schiffe, ein Gesang war
es, schöner als er je vernommen, und im
Eifer, mehr davon zu unterscheiden, lief
er das Flussbett hinab und zeigte mit einer
Geberde, wie das Schiff am besten herein-
gesteuert werden konnte. Gerade als es
das schwarze Wasser erreichte, sah er,
dass es ein unbewaffneter Mann im Vorder-
steven war, der sang, und verwunderte
sich, zu hören, wie weich und froh seine
Stimme war, sie verstummte doch im selben
Augenblicke, als man das Segel einzog,
um die Geschwindigkeit der Fahrt beim
Landen zu hemmen.

Wie der Kiel gegen den feinen harten
Sand scharrte, sprangen die Männer ins
Wasser und zogen das Boot mit sich
hinauf, es gieng rasch und leicht, als hälfe
es selbst mit dazu; in einem Nu hatten
sie es mit Holz gestützt, das an dem
Strande lag, und der barhäuptige Mann,
der gesungen, schlug mit der Hand gegen
den Bug des Fahrzeuges und sagte: »Liege
hier, Argo, bis wir erfahren, was dieses
Land zu erzählen hat, das so schwarz und
düster ist, es währt nicht lange, Argo« —
und bei dem Schlage klang es aus dem
Schiffe wie ein sachter Beifall.

Lynkeus trat auf diesen Mann zu, der
ihm am wenigsten wie ein Feind auszu-
sehen schien.

»Wer bist Du,« fragte er, »und woher,
und was wollt Ihr hier?«

* Aus dem Schwedischen im Einverständnisse mit dem Dichter übertragen von Francis Maro.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 369, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-16_n0369.html)