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In der grossen Halle, den Sälen und
Galerien der »Maison d’Art« in Brüssel
wurde im Monat Juni eine Rodin-Aus-
stellung veranstaltet.
Der Eindruck des Künstlerischen
dieser Ausstellung war nicht nur bei den
Künstlern — die schon eine grosse Zahl
dieser Werke kannten und sie dennoch
immer in langen und eingehenden Dis-
cussionen studierten —, ein tiefer, sondern
auch beim »Publicum«, der »compacten
Masse«, die meist jeder Neuerung feindlich
ist und in dieser Feindseligkeit durch den
Krämergeist gewisser sogenannter Künstler
unterstützt wird, welche, um »Carrière zu
machen« und »hinaufzukommen«, in ihren
periodischen Ausstellungen, die eher aus
dem Kramladen als aus dem Maleratelier
zu stammen scheinen, der Sehträgheit,
der Unwissenheit und dem schlechten Ge-
schmacke huldigen.
Besucher, die als gleichgiltige Spazier-
gänger in das Ausstellungshaus eingetreten
waren, kamen — bewegt, gerührt und
unter dem Banne jenes Staunens heraus,
das oft der Bewunderung knapp voran-
schreitet. Sie sind überrascht und gerührt
gewesen; vor allem durch jene voll-
kommene Gleichgiltigkeit dem Einförmig-
Fertigen gegenüber, jene gründliche Ver-
achtung des »angenehmen und hübschen
Anblickes«, der der schläfrigen Schauge-
wohnheit des Philisters so lieb ist; dann
durch die wirkliche Bedeutung, jene
mächtige Bejahung und besonders die
wunderbare Fähigkeit, die flüchtigsten
Bewegungsäusserungen des menschlichen
Körpers darzustellen.
Diese Rodin-Ausstellung war nicht die
Ausstellung aller Werke des grossen
französischen Bildhauers; es kam nur das,
was man sein Atelier nennen kann, d. h.
was bei ihm in dem Augenblick verfüg-
bar war, in dem er gebeten wurde, in
Brüssel seine letzten Arbeiten gemeinsam
auszustellen.
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Der Meister kam selbst nach Brüssel,
wo ihm ein bewundernder und ehrerbietiger
Empfang seitens der Berufsgenossen und
Freunde wurde, wo er aber auch die
bitter-süsse Wehmuth alter Erinnerungen
wiederfand. Während der schrecklichen
Tage der Commune war er arm und un-
bekannt hierher gekommen. Die Stadt
verwandelte sich damals: man zog neue
Strassen durch die alten Stadtviertel; über
der eingewölbten Senne errichtete man
die »neuen Boulevards« im Centrum; man
erbaute die »neue Börse« und alle die
hohen Bauten im Pariser Stil des Second
Empire.
Den Bildhauern bot sich reichlich
Arbeit, und Rodin erhielt zahlreiche Be-
stellungen. So arbeitete er an einem
grossen Theil der Ausschmückung der
Börse mit und führte nebst anderen be-
merkenswerten Stücken zwei jener Gruppen
aus, die das Thürgesimse in der Rue de
la Bourse zieren, und alle Karyatiden im
Innern. Auf dem Boulevard Anspach schuf er
die staunenerregenden Karyatiden am Ge-
bäude des Crédit Lyonnais, die schmerz-
gekrampfte Musculaturen zeigen, und noch
andere, heute verschwundene, an der Ecke
der Rue des Pierres. Er schmückte die
Mauer des Gartens, der den Akademie-
palast umgibt, mit zwei wunderbaren
Gruppen: dem Belvederetorso, die Ver-
einigung verschiedenster Attribute be-
herrschend, und mit einem kräftig model-
lierten Amor. Schliesslich zierte er unweit
von hier den Gang des Palais Royal de
Bruxelles mit einer Serie der neuen bel-
gischen Provinzen.
Die Rodin-Ausstellung in der »Maison
d’Art« enthielt Unveröffentlichtes, und zwar
namentlich eine Sammlung von Zeich-
nungen, die im ersten Stock der Galerie
zu sehen waren.
Diese Skizzen sind bewunderungswürdig:
von einfachem und beständigem Strich,
ohne Verbesserung, unbekümmert um
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