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König nickte wieder; »singe,« sagte er,
»Dein Sang hat vielleicht recht, denn er
ist schön«. Und die Knaben flüsterten
sachte zu ihm empor: »Singe, Orpheus,
singe für uns!«
Da erst wurde er sie gewahr, sein
Antlitz leuchtete auf, und er neigte sich
und er küsste ihre Stirnen: »Das sind
Deine Söhne, Phineus,«sagte er, »gib
acht, was ich Dich lehre!« Darauf liess
er den Blick rings um den Kreis der
Genossen gleiten, die ihm lächelnd be-
gegneten, beugte sich dann zu den Knaben
hinab und sprach zumeist für sie, doch
so, dass alle es hörten:
»Zwei vermisse ich in unserem Kreise;
der Eine ist Herakles, der Sieger über
alles; er verliess uns an einer Küste, für
ihn hatten die Götter wohl ernstere Bot-
schaft. Der Andere ist der Knabe Hylas,
der Schönste von allen. Er suchte nach
Herakles, aber fand ihn nicht; wir
folgten seiner Spur zu einer Quelle, wo
sie murmelnd in die Tiefe einer Grotte
verschwand; da war auch er verschwun-
den und nur ein leises Lachen dort unten
antwortete auf unsere Rufe. Nun glauben
wir und wissen wir, dass Nymphen
schmeichelnd ihn dort hinabgezogen, nie
sehen wir seine Schönheit wieder. Aber
singend zogen wir von dannen, denn sein
Los dünkte uns am herrlichsten von allen,
am Ufer wuchsen gelbe Lilien, die sich
in dem Dunkeln spiegelten, unten ahnten
wir die schönen Glieder der Nymphe um
die seinen.«
Hier fiel die Stimme des Königs ein,
tiefer und milder als zuvor: »Du hast
meine Söhne gelehrt, wieder zu lächeln,
Orpheus. Du hast recht darin. Sprich
weiter!«
Und Orpheus erzählte mehr von der
Fahrt, wie Argo bei Gesang dahinzog,
von seinem Wettkampf mit Chiron, von
Stürmen, die ihre Kraft gegen das Schiff
erprobt hatten und überlistet hinabsanken,
von feindlichen Völkern und den Siegen
über sie.
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Der Abend glitt dahin und alle
lauschten gespannt, der König heftete
seinen Blick auf die Fremdlinge, wenn
in der Erzählung ihr Name genannt
wurde und mit jedemmale wurde er
weniger dunkel.
Endlich, als es Schlafenszeit war und
die beiden Knaben schon im Halb-
schlummer gegen Orpheus Knie gesunken,
dankte er dem Sänger und allen.
»Ihr habt mir einen Abend vertrieben,«
sagte er, »vielleicht habt Ihr mehr als
das gethan. Nun wollte ich gerne das
Schiff Argo sehen, ich weiss ja von Jason,
dass es vergeblich wäre, Euch zum Bleiben
zu bewegen, und dass Ihr schon morgen
fahrt. Darum will ich dann zum Strande
hinab und Euch Lebewohl sagen. Nun
wünsche ich Euch bloss gute Ruhe.«
Die Knaben erwachten und riefen:
»Wir wollen auch mit, nimm uns an
Bord des Schiffes, Orpheus!« Aber Orpheus
küsste sie wieder auf die Stirne. »Zu
frühe ist es, Kinder,« sagte er, »wachset
heran und vergesset nicht, was Euch
heute Abend erklungen, ein Schiff findet
Ihr jederzeit.«
Hierauf wurden die Gäste zum Schlafen
geführt, bei dem Scheine der Fackeln,
die man von den Wänden nahm; als
der letzte Mann verschwand, war auch
der Saal dunkel.
Am Morgen darauf sah der König
mit seinen Söhnen das leichte, hohe
Jugendschiff mit geschwelltem Segel über
Wellen von Goldroth und Schwarz da-
hintanzen. Vom Kiele erhob sich Gesang,
aber er wurde vom Winde meerwärts
getragen und erreichte den Strand nicht
in Worten, nur hie und da ein Klang.
Über die Brüstung flimmerten die Helme,
und Arme streckten sich empor und winkten
ihr Lebewohl. Lange blieb Phineus da
und sah, sein Blick war nicht froh, aber
klar und ruhig — seine Söhne starrten
sich blind an dem fliehenden Argo, und
die Sonne funkelte in ihre sehnsüchtigen
thränenvollen Augen.
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