Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 373

Das Jugendschiff (Hallström, Per)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 373

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HALLSTRÖM: DAS JUGENDSCHIFF.

Feuer, das leuchtet und brennt, und der
Freude, die Wunden küsst, wir frieren in
der Luft der leeren Weiten.«

Es war stumm in dem ganzen, grossen
Saale während seiner Worte, jeder Arm
hielt in der Bewegung inne, jeder Blick
begegnete still dem seinen, bloss die Fackel-
flammen neigten sich vor dem Winde,
der durch die Spalten drang; mitten im
Saale waren die beiden Knaben stehen
geblieben, sie sanken sachte hinab, das
Dunkel und die Sterne über ihren Häuptern.
Aber die Fremdlinge stiessen klingend ihre
Schalen auf den Tisch. »Orpheus,« riefen
sie, »Orpheus, nun ist es Zeit, zu singen!«

Und Orpheus stand auf und nahm von
der Bank neben sich eine kleine Lyra mit
Plektrum, warf sein langes Haar über die
Schultern zurück und schlug eine Saite an.
Der feine, spröde Laut erklang seltsam
in der Weite des Saales, aber Orpheus
erhob sein Haupt mit den klaren und
tiefen Augen, und halb sprechend, halb
singend liess er die Worte hervorströmen,
unter sachtem Spiel auf der Lyra, das
beinahe bloss dazu angethan schien, die
Fahrt zu hemmen und sein Ungestüm zu
ruhiger Harmonie zu stimmen.

»Wäre es auch, wie Du sagst, König,
was bedeutet all das? Ein Feuer, das
brennt, ist des Menschen Leben, aber nicht
Asche und Staub sind der Brand, der
Glanz ist es, der blendet, die Glut, die
wärmt — wer denkt wohl daran, woher
sie kam oder wohin sie geht?«

»Wir haben ein Schiff, ein herrliches
Schiff, Argo heisst es, es tanzt so leicht;
wie Hände den Busen eines Weibes, so
liebkosen die Wellen seinen gewölbten Bug
und seine Seiten. Unter ihm ist die Tiefe
— wer weiss, wie weit, wer weiss, wie
dunkel — vor ihm ist die Ungewissheit
— wer weiss, wie weit, wer weiss, wie
dunkel! Aber in sich birgt Argo starker
Herzen Muth, wir wissen, wie stark der
Wind in seine Segel schlägt, und reicher
davon geht, Sang davon trägt und Waffen-
klang. Wo wir vorbeifahren, hallen die
Berge wieder von unserem Ruf, Hirten
lassen die Flöten sinken und sehen uns
nach mit träumendem Blick, und lange
hernach noch weitet sich ihre Brust;
Frauen, die am Strande knien, lassen ihre
weissen Gewänder aus den Händen in den

weissen Schaum fallen, sie sehnen sich,
uns zu folgen und beschatten den Blick
vor der Sonne; schön ist es, ihre feuchten
Arme leuchten zu sehen. Wo wir vorüber-
ziehen, streuen wir einen Schatz von Sagen
um uns, Lieder werden es, die spät ver-
klingen; das wunderbare weite Meer in
der Sonne ist eine Muschel, die vom
Brausen unseres Ruhmes erfüllt wird. Was
verschlägt es, was wir in dem fernen
Kolchis gewinnen und was es uns kostet,
um der Fahrt willen sind wir ausgezogen.
Heim kommen wir, denn wir wissen,
welche Bürde Argo trägt, herrlich wird
es, König, den väterlichen Strand empor-
tauchen zu sehen.

Von den Wänden schlug ihm ein
murmelnder, brausender Laut entgegen,
als hätten seine Worte das Toben des
Meeres erweckt; es waren die Männer, die
sich ihm alle zugewendet hatten, mit
halbgeöffneten Lippen und hingerissenen
Augen, in denen das Licht sich in Funken
spiegelte. Die beiden Knaben hatten sich
vom Herde erhoben und waren ihm sachte,
lauschend genaht; nun sassen sie auf einer
Bank zu beiden Seiten des Sängers und
hiengen mit den Blicken an seinem Antlitz.

Orpheus fuhr fort: »König, nicht wir
sind blind, sondern Du, obgleich Deine
Rede tief und klug klingt. Was gewesen,
siehst Du, und was wird, aber das, was
ist, siehst Du nicht, des Augenblicks
Schönheit und des Augenblicks Kraft, den
Kampf aufzunehmen gegen alle Schicksale
und alle Zeiten. Nicht neidisch sind die
Götter, sie haben frische Herzen, sie
lachen in Stärke, unter ihren Füssen zieht
das Schicksal seine Kreise. Aber wir, die
wir unser Haupt vor seinen Schlägen nicht
beugen, wir, die wir in Stärke lachen,
wir sind den Göttern gleich, und sie
freuen sich, wenn sie uns sehen.«

Phineus bewegte während dieser Worte
stumm die Lippen, und es kam hie und
da ein Schimmern in seinen grübelnden
Blick. Als Orpheus geschlossen, lächelte
er ihm müde zu. »Du bist jung,« sagte
er, »darum hast Du recht. Deine Stimme
klingt schön, singe weiter, Orpheus, es
erinnert mich an alte Zeiten.«

Das Antlitz des Sängers erzitterte, seine
Hand hielt im Anschlag der Saite inne
und der Ton sprang spröde ab. Aber der

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 373, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-16_n0373.html)