Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 380

Schauspieler-Central-Contracte (Schik, F.)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 380

Text

SCHAUSPIELER-CENTRAL-CONTRACTE.
Von F. SCHIK (Wien).

Mag ein Theaterdirector noch so sehr
Geschäftsmann sein, er wird sich doch
öfter, als ihm lieb ist, gezwungen sehen,
über Fragen, die auf den ersten Blick
einigermassen theoretisch erscheinen, ins
Klare zu kommen. Es dämmert allmählich
auf, dass die Theater Einer Stadt nichts
weniger als Concurrenzunternehmungen
sind, vielmehr jedem einzelnen Theater
daran gelegen sein muss, dass nicht in
einem anderen durch fortgesetzt minder-
wertige Leistungen die Theaterlust des
Publicums im allgemeinen untergraben
werde. Auf die Steigerung des Theater-
bedürfnisses ist das gemeinsame Streben
zu richten. Sind alle Theater einer Stadt
gut, werden alle prosperieren, sind einige
davon schlecht, so wird das Publicum,
hier öfter enttäuscht, auch vor dem Be-
suche der besseren zaghaft werden und
den Wagemuth verlieren, seine Abende
zu riskieren. Nicht mehr ein Genre erleidet
in dem einzelnen Theater eine Niederlage,
sondern das Vertrauen auf das Theater-
vergnügen überhaupt. Die künstlerischen
Standesunterschiede zwischen den ver-
schiedenen Theatern, ebenso wie die so-
cialen im Leben, verwischen sich immer
mehr und mehr. Die Zeit ist vorüber,
wo jede Wiener Bühne einen ausge-
sprochen eigenen Charakter hatte; vom
Burgtheater gar nicht zu reden, das lange
seine weithin kenntliche Physiognomie
durch allen Wandel der Zeiten zu wahren
wusste. Nun spricht man auch hier im
Vorortedialect und singt G’stanzeln. Dass
dieser Zustand der Kunst nicht dienlich,
ist von uns schon wiederholt erörtert
worden. Für diesmal beschränken wir
uns lediglich auf die Constatierung. Wir
haben in Wien jetzt, dem Wesen nach
genommen, nur Ein Theater, das aus
räumlich praktischen Gründen in mehrere
getrennte Gebäude zerfällt.

Schauspieler von Eigenart haben
infolgedessen gar keinen Anhaltspunkt

mehr, welche Bühne ihnen die günstigste
Gelegenheit bieten wird, diese ihre Eigen-
art zur Geltung zu bringen. Künst-
lerische Specialisten finden an einem
der heutigen vielseitigen Theater keine
ausreichende, ihnen völlig zusagende
Verwendung, während man sie bei
manchen Aufführungen in einem ande-
ren Theater empfindlich vermisst. Da
die einzelnen Bühnen ihre Eigenart
verloren haben, so können Schauspieler
von Eigenart an jedem beliebigen Theater
wirken, ebenso, wie fast jedes Stück heute
auf jeder Bühne in Wien aufgeführt
werden könnte. Der übliche Genremasstab
für Stücke hat alle Geltung verloren.
Jedes Theater hat ein und dasselbe
Publicum, das gar nicht mehr daran
denkt, in welchem Theater es eigentlich
sitzt — es sitzt eben im Theater. Es ist
recht gleichgiltig geworden, was früher so
»sensationell« wirkte, ob man den oder
den Schauspieler in dem oder jenem
Theater sieht.

So kommt es, dass die Fluctuation
der Darsteller von einer Wiener Bühne
zur andern immer häufiger wird und jede
Saison gewisse hervorragende Kräfte an
einer anderen Wiener Bühne wirken sieht.
Die in den letzten Jahren stattgefundenen
»wilden« Gastspiele von Künstlern an
einem andern Wiener Theater als an
dem, wo sie fix engagiert waren,
haben die Möglichkeit erwiesen, dass
ein Schauspieler gleichzeitig mehreren
Wiener Bühnen angehören kann und
dass sich die Repertoires derart feststellen
lassen, dass Störungen im Theaterbetriebe
vermieden werden. Die Einrichtung, dass
ein zugkräftiges Stück ununterbrochen
Abend für Abend bis zur Neige gespielt
wird, hat sich in Wien ohnehin überlebt;
das Princip des wechselnden Repertoires
bewährt sich weit besser. Sonach wird
sich ein Modus hinsichtlich Ansetzung
von Stücken, in denen ein und derselbe

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 380, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-16_n0380.html)