Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 383

Religiöse Symbole (Böhme, Edwin)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 383

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BÖHME: RELIGIÖSE SYMBOLE.

gefasst und ihren Thorheiten und falschen
Meinungen, ihrem Unglauben und ihren
Begierden den Krieg erklärt hätten, statt
den Koran, der doch Toleranz gegen
die religiöse Überzeugung anderer vor-
schreibt, mit Feuer und Schwert zu ver-
breiten.

Das Licht der Erkenntnis war es auch
nicht, was die kriegerischen Horden der
Kreuzfahrer aus dem christlichen Abend-
lande nach dem Orient zur Eroberung des
»gelobten Landes« führte und fromme
Schwärmer die »heiligen Stätten« der
»Geburt«, des »Leidens und Sterbens«
und der »Auferstehung des Gottessohnes
Jesus Christus« (statt in ihrem eigenen
Innern) in Palästina aufsuchen liess. Es
erscheint vielmehr als kindliche Naivetät
und Herabwürdigung der in den Büchern
des »Neuen Testamentes« enthaltenen
poetischen Darstellung des »Sohnes Gottes«,
wie Franz Hartmann sagt, wenn man die
Gottheit in der Menschheit als eine histo-
rische menschliche Persönlichkeit, einen
auf der Erde herumspazierenden be-
schränkten und leidenden Menschen, eine
Art von gemüthlichem Landpfarrer, sal-
bungsvollem Wanderprediger, freundlichem
Seelsorger, religiösem Eiferer, ärztlichem
Hausfreunde, Wunderdoctor, Magnetiseur,
Hypnotiseur, Spiritist u. s. w. betrachtet,
wie es verschiedene Schriftsteller gethan
haben. Die christliche Allegorie bezieht
sich auf etwas viel Erhabeneres, sie führt
uns die Incarnation der alleinigen und
untheilbaren Gottheit in der Menschheit
und deren Offenbarung in den einzelnen
Menschen vor Augen. Sie gibt uns ein
Bild der geistigen Evolution in der Ge-
schichte der Menschheit, das Herabsteigen
des himmlischen Geistes ins Materielle
und dessen Wiederemporsteigen zum Gött-
lichen, wie auch eine Darstellung der
Vorgänge in dem Seelenleben jedes ein-
zelnen Menschen, der auf die darin be-
schriebene Weise zum Siege über das
Vergängliche, zur Herrschaft über das
Selbst und durch Selbstaufopferung zur
Freiheit vom persönlichen Selbst zum
göttlichen Dasein gelangt.*

Findet man, dass ganz ähnliche Gleich-
nisse wie im Neuen Testamente in den
religiösen Büchern anderer Völker schon
lange vor der christlichen Zeitrechnung
vorkommen, so wird man auch einsehen
müssen, dass es bei diesen Allegorien
ebensowenig auf Historie ankommt, wie
etwa beim Märchen vom »Dornröschen«.
Von der Mutter Buddhas, Mâyâdêvi, heisst
es,** dass sie so schön war wie die
Wasserlilie und ihre Seele so rein wie
der Lotus; gleich der Himmelskönigin lebte
sie auf Erden unbefleckt von Begierde und
fehlerlos. Der König, ihr Gemahl, ehrte
sie in ihrer Heiligkeit und der Geist der
Wahrheit stieg auf sie herab, und sie
gebar ein Kind, Buddha, strahlend und
vollkommen wie die aufgehende Sonne.
Himmlische Musik ertönte in der Luft
und die Engel jubelten freudevoll. — Die
in den Schriften der alten Egypter ent-
haltene Erzählung von Osiris*** gleicht
derjenigen von Jesus von Nazareth.
Osiris, der grösste Gott Egyptens, war
der Sohn des himmlischen Feuers und der
Urmaterie. Er wird als einer der Heilande
oder Befreier der Menschheit beschrieben.

»Er kommt als Wohlthäter, um die
Menschen von ihren Mühsalen zu befreien;
seine Bestrebungen, Gutes zu thun, werden
mit Bösem vergolten. Er wird überwältigt,
getödtet und begraben. Nach drei Tagen
steht er wieder auf und fährt in den
Himmel.«

Die äusserliche Auffassung einer Alle-
gorie verhindert die innerliche. Wer aber
dem Aberglauben an einen »historischen«
Erlöser entwachsen ist, gelangt dazu, die
in der Bibel gebrauchten Sinnbilder auf
sein eigenes inneres Leben anzuwenden.
Er sieht ein, dass das göttliche Licht
der Erkenntnis in seinem eigenen, von
allem Selbstwahn und aller Begierde reinen
Gemüthe sich offenbaren muss, wenn der
Tag des Heils für ihn anbrechen soll. Einer
der bedeutendsten Mystiker des Mittelalters,
Angelus Silesius, sagt:

»Ich muss Maria sein und Gott in
mir gebären, soll er mir ewiglich die

Seligkeit gewähren.« Dadurch, dass ein

* Franz Hartmann: »Die Symbole der Bibel und der Kirche«, Friedrich, Leipzig.

** Vergleiche Paul Carus: »Das Evangelium Buddhas«.

*** Franz Hartmann: »Die Symbole der Bibel und der Kirche«.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 16, S. 383, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-16_n0383.html)