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Einer Vorstellung der »Walküre« in
München beiwohnend, verliess ich kürz-
lich, lange vor Schluss derselben, den Saal,
denn der Missmuth, der mich befiel, war
unerträglich. Es trieb mich hinaus auf
den freien Platz, die Strassen lagen so
still und leer — so unentweiht von Ge-
räusch — —
»Unentweiht«, dachte ich, das ist das
Wort. Unentweiht war nichts da drinnen.
Bei der Brünhilde angefangen, die —
statt des Helmes einen grünen Kranz auf
dem Haupte — eher eine Waldfee vor-
zustellen schien, bis hinab in das Or-
chester, das, aller Begeisterung beraubt,
von einem Druck belastet war, der wohl
in directer Linie vom Dirigenten ausgeübt
wurde; denn dieser führte den Stab mit
beispielloser Schwere und gähnte, wie er
konnte.
Fort überall die Weihe und der Flug!
Träger jedoch und strafbarer als auf
der Bühne war man im Zuschauerraume.
Von den Darstellern wussten es ja
viele nicht besser. Wie hätte jene kokette
Brünhilde, die durch ihr Auffassungsver-
mögen und ihre Empfindungsart eben reif
genug war, als Soubrette liebenswürdige
Erfolge zu erzielen, die hohen Anforde-
rungen ihrer Rolle ahnen sollen?
Aber es sassen im Saale Leute, die
das Vornehmste vornehmst genossen hatten
und nun das Missgestaltete beklatschten.
Vor allem jene officiellen Wagnerianerinnen,
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die seit 20 Jahren keine Vorstellung un-
besucht — sogar ihre Bälle und Feste im
Stiche lassen, um sich hier einzufinden;
sie, die den Meister selbst und jene be-
neidenswerte Zeit eminenten künstlerischen
Zusammenwirkens erlebten, ach! sie ver-
nehmen mit derselben Miene unbegrenzten
Wohlgefallens die unauthentischeste aller
Isolden und begrüssen heruntergekommene
Leistungen mit dem ehemaligen En-
thusiasmus!
Und uns jungen Wagnerianern, denen
es nicht vergönnt war, an der Quelle zu
stehen, — uns wird das Herz so schwer!
Werden wir doch heutigen Tages mehr
denn je an den Ausspruch Goethes ge-
mahnt, der die grossen Geister jenen
Strömungen vergleicht, die zwar die
Fluten theilen, aber nur auf Augenblicke,
denn bald fliessen, wie zuvor, die Wasser
wieder zusammen. Ein trauriges Gleich-
nis und ein trauriges Bild, wenn man der
Mühe gedenkt, die jene Alltagsfluten theilte!
Wer Wagners Schriften ernsthaft
liest, trägt vor allem den Eindruck seiner
Gesinnung davon. Selbstloser, christ-
licher hat noch kein Denker gesprochen;
seine Redlichkeit scheute weder Spott
noch Missdeutung, und wenn die Welt
wähnte, sich selbst habe er im Auge,
trug er — wie instinctiv — stets höchste
Zwecke im Sinn. Seine Schriften mit dem
Herzen lesen, heisst daher in Wahrheit:
sich veredeln.
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