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Die Frauennamen dieses Dramas, Ariane
und ihre Amme ausgenommen, decken sich
durchwegs mit denen der tragischen Frauen-
gestalten aus Maeterlincks früheren Wer-
ken. (Sélysette aus »Aglavaine und Sély-
sette«, Melisande aus »Pelléas und Meli-
sande«, Ygraine und Bellangère aus »Tin-
tagiles’ Tod« und Alladine aus »Alladine
und Palomides«. Deutsch in der »Wiener
Rundschau«, Jahrg. I, Nr. 1—6); auch
hat der Dichter die charakteristischen Eigen-
schaften und Merkmale dieser Wesen in dem
vorliegenden Stücke wieder hervorgeholt und
somit deutlich zu erkennen gegeben, dass
er auf die absolute Identität seiner Figuren
hier wie dort abzielte. Welche Symbolik
Maeterlinck damit verfolgt, wird erst dann
völlig klar, wenn man sich den Wandel
in seiner Weltanschauung vergegenwärtigt,
der, seit »Aglavaine und Sélysette« vor-
bereitet, in seinem letzten Buche »La
Sagesse et la Destinée« zum Ereignis
geworden ist. Man dürfte sich also unter
Ariane eine Befreierin und Lichtbringerin
mit dem Muth und der Schönheit einer
antiken Heroine denken (siehe hierzu die
charakteristischen ersten Worte Arianes:
»Die Römerinnen waren schön und
muthig«), eine Heldin, deren Prototyp,
Antigone, in »Weisheit und Schicksal«
bereits gefeiert wird, und deren moderne
Incarnation dem Dichter vielleicht in
Georgette Leblanc vorschweben mag, der
er dieses Buch mit der Betheuerung ge-
widmet hat, dass sie eigentlich die Seele
desselben gewesen sei, und dass er,
der Dichter-Philosoph, ihren Spuren im
Leben nur hätte folgen brauchen, um
die rechte »Weisheit« des Lebens zu
lernen.
Blaubart hat nach einem echten Weibe
gesucht, das Körper und Seele, Ver-
stand und Sinne besitzt, und er hat nur jene
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dem christlichen Dunstkreise entsprossenen
schönen Seelen in ihrer geradezu pflanzen-
haften Bewusstlosigkeit und Instinctivität
gefunden, denen gegenüber er sogar das
Mitleid verliert. Und doch mag er sie nicht
missen und schliesst sie in die künstliche
Nacht einer unterirdischen gothischen Halle
ein, wo sie ihr Dasein geduldig tragen, ohne
an Fluchtversuche auch nur zu denken.
Endlich kommt die Göttin, die den Tag
bringt und die zagenden Dulderinnen erlöst
— diese Scène gehört zu dem Schönsten,
das Maeterlinck je geschrieben. Blaubart
wird sich zwar von den alten geliebten
Schatten nicht mehr trennen, noch weniger
diese von ihm, aber Ariane hat sie alle in
eine neue, lichte, menschlichere Atmo-
sphäre gerückt; und wie sie Blaubart
einerseits die Wuth seiner »rothen Blicke«
vorwirft, so wirft sie andererseits den
Frauen vor, dass sie in kindlichem, eitlem
Unverstand ihre Reize verbergen und
Blaubart vorenthalten. Ariane erinnert an
den Schopenhauerischen Weisen, wie er
uns in Wagnerischer Umbrechung in
Hans Sachs entgegentritt. Sie ist heiter,
entsagend, glücklich; sie hat ein über-
christliches, vom Lichte der wieder-
erwachten Antike umschimmertes Wesen,
und die Opfer, die sie bringt, geschehen
nicht des Lohnes, sondern der Tugend
wegen. Man vergleiche hier die Aus-
führungen Maeterlincks in ›Weltordnung
und Sittlichkeit« (»Wiener Rund-
schau«, 15. Juni d. J.).
Natürlich sind diese meine Bemer-
kungen sämmtlich völlig subjectiv; ich habe
den verehrten Dichter nicht »um Rath ge-
fragt«, was er mit diesem Stücke meinte;
ich wollte nur ein paar Directiven geben,
wo des Räthsels Schlüssel liegt.
FRIEDRICH V. OPPELN-BRONIKOWSKI.
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