Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 423
Text
Mögen sich die Stunden dehnen
Wie der Himmel und mein Sehnen.
Schnell, wie eines Namens Nennen,
Ist mein fliegendes Erkennen.
Schneller als der Stunden Blähen,
Schneller als der Sehnsucht Flehen
Ist des Drängens Überstehen.
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TRUG.
Nun wieder müde Hände, |
MÜDIGKEIT.
Entführ’ mich wie ich bin. |
Ich mache meinen Gang;
Der führt ein Stückchen weit
Und heim. Dann ohne Klang
Und Wort bin ich beiseit.
Herr Robert Walser, der in einem Modewaren-Geschäfte zu Thun (Schweiz) thätig ist,
sendet uns ein Päckchen Gedicht-Manuscripte und fügt folgendes Schreiben bei: »Indem
ich
hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Zusendung nicht überraschend komme, darf ich auch
zugleich
hoffen, dass keine Störung hierin liegt. Wenn es doch der Fall wäre, so möchte ich
um Ent-
schuldigung bitten. Ich überlasse alle Anordnung der Angelegenheit Ihrem Wohlwollen,
dem
ich mich dankbarst und ruhig unterwerfe.«
Es freut uns, einem von jeglicher Pose freien Dichter begegnet zu sein, dessen Ver-
suche bei mancher Unbeholfenheit ein durchaus selbständiges Naturgefühl und wohl vor
allem jenes »nachtwandlerische« Schaffen und Schauen verrathen, das nicht nur zu Goethes
Zeiten als das unfehlbarste Zeichen ehrlicher Begabung gegolten. D. RED.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 423, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-18_n0423.html)