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Im Jahre 1770 begruben sie zu Madrid
in Giambattista Tiepolo den letzten Fürsten,
der in souveräner Machtfülle der vene-
tianischen Kunst geboten, und Venedig
wurde rasch zu einer Provinzstadt im fro-
stigen Reiche des akademischen Classicis-
mus. Jene ungeschriebenen, niemals klar for-
mulierten, niemals erlassenen Gesetze, die
man venetianische Tradition nennt und
vor denen die stolzesten Meister zu ihrem
Heile sich gebeugt, — sie wurden für null
und nichtig erklärt und vergessen. Mochten
vordem Venedigs Maler in jenen Landen
weilen, wo man das Kreuz verehrt, moch-
ten sie Hirten gleich durch Arcadiens
rauschende Blütenhaine schweifen, allüber-
all lächelte ihnen die Schönheit der Vene-
tianerin, die Luft der Lagunen streichelte
kühlend die von inneren Visionen er-
hitzten Stirnen, und allüberall gewahrten
sie die prunkende Pracht jener Farben,
die Venetia gleich einem Herrschermantel
umstrahlten. Das hörte nun auf. Die
grauen Wolken classicistischer Theorien
verhängten den blauen Himmel vene-
tianischen Malens, die Farbe wurde ge-
ächtet in der Stadt Tizians, herrisch wies
man Veroneses lachende Daseinslust aus
dem Grenzbezirke der Lagunen und er-
weckte in riesigen Gemälden die Schemen
der Horatier und Curatier, Carmagnolas und
Marino Falieros zu neuem Gipsfiguren-
Dasein; ein goldenes Zeitalter des Pro-
fessorenthums schien angebrochen, — da
erstand noch einmal der Künstlerheld, der
mit frohem Lachen die akademischen Ge-
spenster aus dem usurpierten Tempel der
venetianischen Kunst jagte; erstand noch
einmal der Maler, der gleich den erhabenen
Todten in lyrischem Verzücktsein nur von
Venedig schwärmte, von seiner Luft, seinen
Farben und süssen Frauen, — da erstand
Giacomo Favretto.
Er starb im Jahre 1887, kaum 38 Jahre
alt, und die erste nahezu vollständige
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Gesammtausstellung seiner Werke, die sein
Andenken jetzt in Venedig ehrt, sie lehrt
uns schmerzlich empfinden, wieviel man
in Favretto begraben: er war ein Künstler
von anscheinend unversiegbarer Fülle far-
bigen Reichthums, zum vornehmen Ver-
schwender schien er geboren, er hätte zum
Bahnbrecher werden können; aber keine
Nachfolger, nur Nachahmer wurden
ihm, und darum bleibt er ein spät geborener
Enkel des Rococo. Favretto fühlte diese
geistige Zugehörigkeit, und er, der Sohn
eines Schmiedes, der zuerst in des Vaters
russiger Werkstatt mit Hammer und Feile
hantieren musste, er träumte von diesem
Jahrhundert, das Geist war und Liebe
zugleich, ihm bangte nach jenen wunder-
bar weisshändigen Elegants, die Bonmots
und Pointen prägten, schneidend scharf
und graziös wie die Degen, mit denen
sie sich um das Strumpfband einer Sängerin
duellierten, ihm bangte nach Frauen, die
zwischen Küssen und Umarmungen über
Goldonis neueste Komödie plaudern konnten.
Favretto liebte das Rococo aus ganzer
Seele; so licht und fascinierend schaute
es seine Sehnsucht, so schön und berückend,
wie nur ein Kind, das fremde Menschen auf-
erzogen, die todte Mutter träumen kann.
Gleich den Goncourts umgab er sich mit
den galanten Stichen des XVIII. Jahr-
hunderts, mit Tabatièren, auf denen Venus
und Anchises sich umschlingen, mit
Miniaturporträts, Medaillons, alten Spiegeln
und all den tausend graziösen Nichtig-
keiten, deren jene Gesellschaft nicht ent-
rathen konnte; trat er zur Staffelei, so
blickte er zuerst lange auf blütenzarte
Seidenstoffe, die sein Atelier schmückten
und von einer längst begrabenen Gentil-
donna ihm flüsterten, deren geschmeidige
Formen sie dereinst nicht allzustreng ver-
hüllten. Das war seine Inspiration. So er-
zogen, ward Favretto, was das Schicksal
den letzten Tagen von Venedig versagt
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