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hatte, ein Künstler, durch dessen Werke
sie fortleben werden.
Im vorigen Jahrhundert schilderte
Pietro Longhi das Leben und die Sitten
der venetianischen Patricier; aber dieser
Freund Goldonis war ein phlegmatischer
Spiessbürger der Palette, ein Mann allzu
robusten Empfindens, um jene raffinierten
Nervenmenschen, jene Gourmets der
Lebensnuancen zu verstehen; nicht als
Dichter, als Ballreporter nur hat er das
Rococo beschrieben, jenes Fest, das die
Schönheit dem Geiste gab. Zudem war
Longhi ein moralisierender Pedant und
hätte z. B., ganz abgesehen von seinem
empfindlichen Manco an malerischen
Qualitäten, nie jenes farbige Menuett,
jenes entzückende kleine Bild Favrettos
malen können, auf dem unter einem
Fresco Tiepolos ein küssefrohes Paar von
der Liebe nascht, heimlich und harmlos,
wie ein Kind Bonbons. Favretto machte
nicht Halt vor solchen äusseren Daseins-
formen der Rococo-Welt; er verstand
sich auch auf die Psychologie dieser
todten Menschen; das beweist bei seiner
»Dame aus dem XVIII. Jahrhundert« das
Gewollt- Ungewollte in der Haltung der
Gentildonna, die Pose voll melancholischer
Koketterie, das beweist auf ganz anderem
Gebiete sein decorativer Entwurf für ein
Glasgemälde: »Venedig überreicht Fran-
cesco Morosini den Commandostab«: der
Doge erscheint, — man denke wegen
des Contrastes an das schwülstige Pathos
des Barock oder besser noch an die trockene
Rhetorik der neupreussischen Kunst in
solchen Repräsentations-Scenen, — der
Doge erscheint als tadelloser Elegant und
Venetia ist die beglückende Dame dieses
Cicisbeo; so fasste Tiepolo die sante con-
versazioni auf. Alles jedoch, was Favretto
zum Rococo zog, die Freude an der
leichten Art dieser Gesellschaft, die Be-
wunderung ihres Geschmackes, ihres
Esprits, all dies enthält, gleichsam con-
centriert, sein Hauptwerk »al liston«.
Zwischen der Loggia des Sansovino und
dem Dogenpalast wandeln Venedigs Pa-
tricier in Seidenröcken und Schnallen-
schuhen, da rascheln und rauschen und
knistern die bunten Toiletten der Gentil-
donna, da fliegen Worte wie Pfeile,
in Parfüm und Gift zugleich getaucht; sie
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verwunden, aber nicht allzu tief, denn das
Aufblitzen eines dunklen Auges verspricht
verschwiegenen Trost; da deutet die
Schleife des Bologneserhündchens dem
Wissenden das Ende einer ewigen Liebe,
dieser Händedruck ruft den Gesandten
aus Paris zurück, und ein Page, der an
die Knaben des Hofmannsthal gemahnt,
schaut mit dem grossen Blick der Sehn-
sucht auf all dies rasche, prickelnde, im
Geniessen durchgeistigte Leben.
Vario è il vestir, ma il désir è un solo,
Cercan tutti fuggir tristezza e duolo.
Dies lachende Venedig ist gestorben,
und des Contrastes zwischen einst und
jetzt mochte bisweilen selbst ein Licht-
sohn wie Favretto schmerzlich sich be-
wusst werden; als Seitenstück zu dem
Liston des Rococo begann er den Liston
von heute zu malen; der Tod jedoch
schlug ihm den Pinsel aus der Hand.
Aber was er wollte, sieht man: In häss-
lichen dunklen Trachten schieben sich
schwerfällig die Bürger einer armen Provinz-
stadt durcheinander; gebeugten Nackens,
wie Zugthiere das Joch, so schleppen sie
das Leben; die Frauen, ohne Freude und
ohne Lächeln, mustern einander mit
jenem neidischen und doch verächtlichen
Blick, den Schopenhauer so hasste; auf
Hände und Füsse, ja sogar auf die Schuhe
erstreckt Favretto seinen Vergleich, —
hie Geist, Schönheit und Bewegung,
hie plumpe Hässlichkeit und starrende
Schwere. Ein anderes Bild noch dankt
sein Entstehen dieser ironisch-melancho-
lischen Stimmung. Es heisst »Die armen
Alten« und ist sehr wichtig für Favrettos
Psychologie. Auf grünem Schemel hockt
in der Tracht eines verhungerten Diurnisten
ein Maler, der auch Schuster hätte werden
können und »restauriert« mit schwitzender
Aufmerksamkeit ein Gemälde, das durch
ein »Giambattista Tiepolo pinxit« geadelt
ist; neben diesem Künstler, den rundlichen
Rücken gegen die Leinwand gekehrt, sitzt
ein ebenso hübsches wie anscheinend
dummes Mädel und stopft Strümpfe
Die Venetianerin als lächelnde Madonna,
in silbernem Wolkenduft thronend, von
heiteren Engeln umschwirrt, und die
Venetianerin, einem Crétin Strümpfe
stopfend, — welch bitterer Contrast!
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