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renz, jenes Werk, mit dem er der kunst-
geschichtlichen Entwicklung um volle
hundert Jahre vorgriff. Denn wie es erst
die Künstler der Gegenreformation thaten,
malte er jenen Augenblick, da, nach dem
Evangelium Lukas, der heilige Geist über
die Jungfrau kam, und die Kraft des
Höchsten sie beschattete. Überreich ist
diese Schöpfung an psychischem Ausdruck.
Sie zeigt die religiöse Schwärmerei, die
sich beim Jüngling als traumverlorenes
Sinnen, beim Manne als fast geschlecht-
liche Erregung, beim Greise in entsagender
Demuth äussert, sie besitzt eine Ver-
geistigung, in welcher jede Geste laut
spricht und aus den Augen tiefe Offen-
barungen leuchten. Doch fühlt man das
Überhitzte, krampfhaft Hinaufgetriebene
der Stimmung. Es ist wie bei einem Bogen,
der, möglichst stark gespannt, den Pfeil in
weite Höhen trug, aber dann entzweibrach.
In diesem Bilde liegt das Schicksal
Piero di Cosimos beschlossen. Als sich der
Qualm von Savonarolas Scheiterhaufen
gesenkt hatte, war er ein müder Mann.
Drei Porträts hat Piero noch gemalt.
Die beiden Alten, den Baumeister und
den Musiker, eigensinnige, verwitterte
Käuze, die mit dem Leben ebenso-
wenig zurechtkommen konnten, wie er
selbst, mit denen er wohl die tägliche
Tischrunde bildete in einer entlegenen
Osteria; und Kleopatra, die schauerlich
schöne Vision eines nackten Weibes, das,
die Schultern von einem orientalischen
Shawl umzogen, als Halsschmuck eine
goldene Kette, um die sich die gelbgrün
schillernde Viper windet, sein steinern
kaltes Profil gegen die schwarze Wolken-
wand hebt. Dann verfiel er immer mehr.
Er schloss sich in seinem Hause ein und
liess niemanden zu sich. Die Weinstöcke
seines Gartens wuchsen wild, breiteten ihr
dichtes Rankennetz auf Mauer und Dach,
und Feigenbäume senkten grüne Schleier
über die niedrigen Fenster. Drinnen
in der Stube lag das Geräth wirr
durcheinander, Spinnweben hiengen an
den rauchgeschwärzten Wänden, und
Eierschalen, Spuren der einzigen Mahlzeit
des quattrocentistischen Vegetarianers,
bedeckten den schmutzigen Boden. In der
Mitte, vor einer zerbrochenen Staffelei,
stand ein wunderlich gesticulierender Mann
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und versuchte die Erinnerung an die holden
Märchen der Jugend, die in ihm aufstieg
wie trübe Wasserblasen, auf die Lein-
wand zu bannen. Anfangs gelang es, aber
es war nur der traurige Abglanz früheren
Könnens, altersmüde Malereien, der Andro-
medacyklus, die Prometheustafel, die
Bacchanalien. Dann wurde sein Arm ge-
lähmt, und der Pinsel entfiel der zitternden
Hand. Piero weinte, betete, tobte — er
konnte ihn nicht mehr aufheben. Es war
Zeit, an den Abschied zu denken, und so sollte
er sein, wie einst das Leben gewesen: bittere
Wahrheit in phantastischem Spiel, bluten-
der Schmerz in schallendem Gelächter.
Im Carneval des Jahres 1511 bewegte
sich ein seltsamer Zug durch die Strassen
von Florenz. Einen grossen, schwarz be-
hängten Karren, an dessen Spitze der
Tod mit der Sense sass, zog eine Reihe
schwarz behängter Büffel. All das schwarze
Tuch war weiss bemalt mit einer Menge
Todtengebein, Schädeln, Knochen. Rings
um den Tod hoben sich Grabdeckel und
es entstiegen schwarz verhüllte Gestalten
mit aufgemalten Gerippen, die mit heiserer
Stimme, zu dumpfem Trompetengetön den
klagenden Choral: Dolor, pianto e peni-
tenza murmelten und wieder hinabsanken
in ihre Gräber. Ein rauchroth schwelendes
Licht kam von riesengrossen Feuerträgern,
die über dem Antlitz und Hinterhaupt
schreckliche Larven hatten und um den
Hals einen dicken, geronnenen Blutstreifen.
Vor dem Wagen wie hinterher ritt eine
klappernde Schar Todter auf dürren,
knochigen Gäulen, jeder von vier ver-
mummten Reitknechten begleitet, die eine
Fackel und eine Fahne hielten, auf der
Kreuz und Todtenkopf, die Wappen-
zeichen der Herren, unheimlich funkelten.
Dem Wagen aber schleppten zehn
schwarze Riesenfahnen nach, und während
das Ganze sich langsam vorwärts-
bewegte, erscholl in schweren, zitternden
Tönen das Miserere, der Psalm Davids.
Zwischen den erschreckten Masken
humpelte ein hüstelnder Greis nach Hause.
Es war Piero, der Dichter dieses Triumph-
zuges des Todes. Seither blieb er ver-
schollen. Eines Morgens fand man ihn
todt am Fusse der Treppe. Man schrieb
schon 1521. Ein Jahr vorher war Rafaël
gestorben.
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