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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 433

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HABERFELD: PIERO DI COSIMO.

strasse, schweigsam, verwittert und
gebräunt, als wären sie schon tage-
lang unterwegs. Nur aus Antlitz und
Händen spricht ihre Liebe und ihr
Leid. Sie kennen keinen Rausch und keine
Exaltationen, sind still und ernst wie die
Stunde, die vorübergleitet, werden alt und
sind noch jung in Mühen und Ergebung.
Das rein Menschliche an ihnen ist so ver-
innerlicht, dass die Gegensätze des Alters
und Geschlechtes fallen. Darum haben
seine Greise etwas so Elastisches, darum
konnte er, gleich starker Wirkung gewiss,
Maria als Landmädchen malen, rührend
schön wie ein Frühlingsmorgen auf der
Heide, und als gereifte Frau, in plebejisch
gebundenem Kopftuch, ein Bauernweib mit
seinem Kinde, das wie ein um Jahrhunderte
verfrühter Uhde anmuthet. In diesem
reinsten, auf das Wesentliche vereinfachten
Ausdruck der Menschennatur hatte er
Goës erreicht; noch nicht in der Com-
position. Deshalb gieng er bei Luca
Signorelli, dem zeitgenössischen Meister
des Raumes, in die Schule und schuf das
Rundbild der heiligen Familie, wo allein
die scharfen Linien des Aufbaues die
Feierlichkeit der Stimmung bewirken. Dem
folgte dann die »Anbetung der Hirten« in
Berlin, sein grösstes Werk aus dieser Zeit,
der Höhepunkt an psychologischer und
coloristischer Feinheit und so ein eben-
bürtiger Dank dem niederländischen An-
reger. Es war eine strenge Selbstzucht,
der sich Piero bisher unterworfen, aber sie
hatte ihn stark und heiter gemacht. Und
schon meldete sich der Übermuth wieder,
die silbernen Schellen erklangen, die
ironische Grazie nahte in der »Anbetung
des Kindes« der Petersburger Eremitage,
ein Werk, das wie eine galante Satire
auf die vorhergegangene Hirtenanbetung
ist. Wie ein schüchterner Liebhaber wirbt
der kleine Johannes, wie eine stolze Dame
wehrt das Christkindlein ab und in süsser
Koketterie lächelt, Hals und Nacken ent-
blösst, Maria. Zwei Engel sind eingetreten,
wie junge Ballettänzerinnen, in hellem
Tricot, mit goldenen Sandalen, mondain
frisiert, mit der einen Hand das Röckchen
hochschürzend, in der andern die Theater-
schalmei. Ein wenig Romantik, ein bischen
Rococo und etwas vom modernen Variété
vereinigt das Bild. Wollte Piero, wie früher

über der Antike, in lachender Überwindung
die Narrenpeitsche schwingen? Wer kann
es sagen? Aus der Gewitterwolke, die so-
lange schon gedroht, zuckte der erste
grelle Blitz. Savonarola war gekommen.

Wie ein Klostergewölbe lag der Himmel
über Florenz, düster und schwer. Eine
wilde Heiligkeit war in die Menge
geströmt aus den Donnerworten des
Frate. Wo früher der Carneval durch
die Strassen brauste, zogen Processionen
weissgekleideter Kinder, und wo vor-
dem Lieder zu Wein und Küssen ertönt,
klangen der Mönche eintönig dumpfe
Choräle. Dunkel war die Luft von Weih-
rauch und Weissagungen. In dem Aufruhr
alles Bestehenden wurde auch Piero aus
seinem Geleise geschleudert. Die Strömung
war zu mächtig, er selbst zu reizbar, dass
es ihn nicht zur Auseinandersetzung ge-
trieben hätte. Wie am Übergange dazu
steht Magdalena, die schöne Büsserin, die,
vom Sonnenlicht umflutet, am offenen
Fenster, also angesichts der Vorüber-
gehenden, fromm in der Bibel liest. Vor
ihr aber liegt ein Brief, der vielleicht
zum Stelldichein am Abend ruft, daneben ist
die duftende Nardenbüchse, um ihren Leib
für den Geliebten zu salben. Es ist noch
der unsichere Zweifel des alten Spötters
an der Echtheit der allgemeinen Busse.
Bald wurde er schmerzlich überzeugt. Auf
dem Hintergrunde des Marienbildes in
Glasgow ragt in die Landschaft ein hohes
Kreuz, vor dem sich kniend der heilige
Hieronymus kasteit, unter freiem Himmel
hat der heilige Bernhard sein Betpult auf-
geschlagen und deutet das göttliche Wort.
Die Erinnerung aber an den Glanz und
die Heiterkeit früherer Tage, Säulen und
Mauern hellenischer Tempel, wirft mit
lärmendem Geräusch ein krallenfüssiger,
geierartiger Teufel zu Boden. In der Natur,
in der er die friedensvolle Zuflucht ge-
funden, herrschte jetzt der Mönch, das
antike Märchenreich, in dem seine Träume
geblüht, war zerschlagen und vernichtet.
Savonarola hatte gesiegt. Und mit der
rathlosen Verbitterung, die keine Zukunft
mehr sieht, mit der jähen Überschwäng-
lichkeit, die immer sein Wesen gekenn-
zeichnet hatte, brachte auch Piero dem
Propheten sein Opfer. Es ist die Imma-
culata conceptioin den Uffizien von Flo-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 433, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-18_n0433.html)