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Walzermelodien erklingt, befreiten nicht.
Bald verstummte das Lachen, das heitere
Spiel und der kluge Witz. Die Schwermuth
regte ihre grauen Flügel und das ganze
Weh seiner Verlassenheit strömte über
in dem »Tod der Prokris«. Auf braunem
Strand, wo tausend Blumen blühen und
die Wasserreiher schreiten, verblutet
Prokris. Einsam muss sie sterben. Nur ein
Faun ist herzugesprungen, der zärtlich
prüfend die Finger an die erkaltende
Stirne legt, und ein wilder Hund sitzt zu
ihren Füssen, fast menschlich in seiner
nachdenklichen Theilnahme. Der Faun
aber ist Piero — und der junge, sterbende
Leib, ist es die Liebe oder das Leben,
die Jugend oder die Kunst, die von ihm
Abschied nehmen wollen? Flüsternd
schaukeln im Wind die purpurrothen
Dolden der Sumpfpflanzen.
Die vier Bilder Pieros bedeuten das
romantische Nachspiel dessen, was im
Quattrocento die Stellung der Antike
war. In der ersten Hälfte des Jahr-
hunderts wirkte sie stilbildend, als strenge
Genossin des Künstlers, so bei Mantegna,
im Kampfe um die Form; dann ist sie
ein Culturfactor geworden, ein berauschen-
der Lebensinhalt, eine Weltanschauung,
mit der man sich anfüllen konnte, wie
der Kreis des Lorenzo von Medici, oder
gegen die man schwer ankämpfen musste,
wie Botticelli. Piero galt sie keines von
beiden mehr und doch beides. Sie war
das Land seiner Sehnsucht, dem er aber
auf bunt bebändertem Narrenwagen ent-
gegenfuhr. Er betete zu Apollo und hatte
ihm zuvor eine Harlekinsjacke umgehängt,
er kniete vor dem Altar der Aphrodite
und hielt ihr in der linken Hand Rosen,
in der rechten jedoch das Kaninchen
empor. Er träumte lachend, schwärmte
witzelnd und zwang die Antike in die
sprunghaften Launen seines Wesens. Der
»Tod der Prokris« bildet die Ausnahme und
einen Wendepunkt. Die unbestimmte Angst
musste ihn drücken, sich in dem Strudel
der Genüsse und seine Kunst in flüchtigen
Phantasien verloren zu haben. Piero floh
die Menschen und gieng in die Einsamkeit.
Die schlug ihren schwarzen Mantel
um den Verzweifelten. Die Verworrenheit
bemächtigte sich seiner wieder, Himmel
und Erde verschwammen in trüben Visionen,
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und in pfadloser Wirrnis führte er das
unstäte Leben eines Waldmenschen. Ver-
schlungene Baumäste schienen ihm wie
Arme scheuer Dryaden, in Wurzeln suchte
er verzerrte Spuren eines menschlichen
Antlitzes, manche wilden Nelken leuchteten
wie im Fieber glänzende Kinderaugen. Zu
einem Irrgarten wurde die Welt, wo in
Höhlen krause Ungeheuer hausten und in
paradiesischer Vertrautheit die Thiere ihre
dunkle Sprache redeten. Wahrscheinlich
rührte er lange Zeit den Pinsel nicht an,
ein Zustand, den Vasari oft bei Piero
erwähnt. Die Wildnis wollte ihn ver-
schlingen. In jenen Tagen muss es ge-
wesen sein, dass er zufällig vor das Altar-
bild des Hugo van der Goës trat, und
wie man manchmal im Traume sich sieht,
von aller Schwere des Tages und allen
Flecken der Begierde befreit, in jener
jungen Sieghaftigkeit, die vielleicht der
eigentliche Sinn unseres Wesens war, den
aber der Alltag verwirrte, so wirkte es
auf ihn. Das rein Menschliche ihres
Inhaltes, das schlicht Seelische ihres
Geschehens zog ihn an, und in einer
Landschaft wollte er es geben, wie er sie
immer gefühlt und wohin ihm Goës die
Richtung gewiesen. Werk für Werk war
ein Ringen darum, von der Heimsuchung
und der Anbetung des Kindes (in englischem
Privatbesitz) bis zur thronenden Madonna
(im Findelhause zu Florenz). In seiner
Sehnsucht nach der Natur war Piero auch
ein Ausdruck der Zeit. Übercultur und
Lebensgenuss hatten zu ähnlichen Stim-
mungen geführt, die später Rousseau sein
»Retournons à la nature!« ausrufen liessen.
Nur dass Piero dem modernen Empfinden
darin näher stand als seine Zeitgenossen.
Er brachte der Landschaft ein intimes
Element entgegen, das beinahe etwas
Nordisches hat. Dem weltflüchtigen
Träumer enthüllte gerade der einsamste
Fleck seine Seele: eine Hütte, die zerfallen
am Abhang steht; ein vergessener Rain,
den schon lange kein Wanderer gegangen;
ein grauer, moosbewachsener Fels, auf
dem die Mittagssonne liegt; er malte das
Schicksal der Bäume wie das vertrauter
Gefährten. Dem menschenscheuen Son-
derling klang auch die Sprache der
Thiere, die er in alle Bilder setzte.
Die Menschen nahm er von der Land-
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