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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 431

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HABERFELD: PIERO DI COSIMO.

Schoss. Das rastlose Schaffen hatte sich
zu einer Cultur verdichtet, die das ganze
Dasein durchdrang, es zu einem Kunst-
werk wandelte und im Hofhalt Lorenzo
Magnificos ihr Symbol fand. Der Kampf
hatte scharfe, machtvolle Persönlichkeiten
gezeitigt, Männer, die den Dolch wie den
Pinsel führten und das Leben wie eine
heisse Geliebte umarmten. Jetzt lag Erben-
stimmung über Florenz. Man spielte mit
dem Schicksal und dem Hass, der Kunst
und der Liebe, und aus des Lebens Ge-
waltherrschern wurden seine Pagen, wie
Piero Pollajuolo oder seine Schauspieler,
so Filippino Lippi. Und wie in einem
Treibhaus war es, darin die gelbe Stunde
vor dem Gewitter drückender ist und
schwüler als im Freien. Denn irgendwo-
her zog es sich zusammen, unsichtbar
noch, aber mit unabwendbarer Gewissheit
herannahend, jene schwarze Wetterwolke,
aus der bald, wie eine Feuersäule, Savona-
rola schiessen sollte. Botticelli allein
horchte, jagender Unruhe voll, klopfenden
Herzens in das Dunkel hinaus. Die anderen
lebten noch den Carneval. Mit Kränzen
umwanden sie das Kreuz, bis unter Rosen
die furchtbar milden Augen des Nazareners
verschwanden, und dann errichteten sie
den Altar, ihr, der cyprischen Frau, der
Herrscherin auf Paphos.

Das war der Kreis, in den Piero di Cosimo
eintrat. In der Einsamkeit war er aufge-
wachsen, in der Werkstatt des Cosimo
Roselli hatte er gelernt. Lange Tage war
er draussen in den Wäldern gelegen, hatte
in die ziehenden Wolken gestarrt und in
ihren Flug seine Träume gesponnen.
Dann hatte ihn sein Meister mit sich
nach Rom genommen, um an den Sixtina-
fresken zu malen. Was er verworren ge-
träumt, fand er hier an den Resten der
grossen, alten Kunst, ordnend und klärend
traten antike Mythen in sein schweifendes
Fabulieren. Das Märchen schlug die Augen
auf. Nach Florenz zurückgekehrt, sah er
in den Gärten der Medici und hörte aus
den Liedern der Dichter, was er in
Zauberfernen gesucht, die eigene Sehn-
sucht schien ihm auch das Verlangen
der Zeit. Er wurde des Giuliano dei
Medici, des Pugliese, des San Gallo Freund,
und einen seltsamen Reiz musste für diese
Gesellschaft adeliger Jünglinge der junge

Bohémien haben. Wie ein Troubadour
konnte er von den Frauen sprechen und
sie im nächsten Augenblicke mit ätzendem
Hohne übergiessen, für Wochen konnte
er verschwinden und unerwartet wieder
auftauchen, stundenlang konnte er ver-
drossen und versonnen dasitzen, um beim
folgenden Gelage die tollsten Schwanke
zu treiben. Wenn er dann in ausgelas-
senster Heiterkeit die Genossen mit sich
fortgerissen hatte, verstummte er plötzlich,
und da ahnten sie, dass er eine Welt in
sich verschlossen trug, in die er nieman-
den blicken liess. Nur aus seinen Ge-
mälden sprach sie damals zu ihnen, ent-
hüllt sie sich heute uns. Vier Bilder gab
ihm diese Zeit, und man könnte sie einen
Cyklus zum Thema »Liebe« nennen,
dessen Held Piero selbst ist. »Die Be-
freiung der Andromeda« wirkt wie ein
rauschendes Preislied, der Beginn des
Romans. Nach jener Liebe sehnte er sich,
die trotz Gewitter und Ungethüm hehre
Wunder thut. Aber wie die grausam iro-
nische Pointe eines Heine’schen Liebes-
liedes folgt nun »Hylas und die Nymphen«.
Wollten zwei schlanke Arme das Glück
nicht verwirklichen oder ist es nur die
Rache des empfindsamen Ironikers an
sich selbst, weil er seine Gefühle verrathen?
Ein kleiner, fetter Junge liegt auf dem
Boden und um ihn haben sich Nymphen
geschart, rothwangige, vollbusige Land-
mädchen, von denen jede ihn für sich
erobern und in die verschwiegenen Büsche
ziehen möchte. Ein Spottdrossellied ist es
über die Begierde des Weibes und doch
auch ein königliches Lachen, das etwas
Böcklinisches hat. Und er gieng weiter,
zu einem Trutzgesang an der Frauen
Königin, in »Venus und Mars«, dem
Bilde der Berliner Galerie. Mit schalk-
hafter Verbeugung beginnt er sein über-
müthiges Minnelied, voll kichernder Feier-
lichkeit und lächelnder Verehrung, das
Lied, wie Venus und Mars Kosestunde
hielten im Blütenhain Mit einer boshaften
Wendung, die ihn vielleicht der Physio-
logus bestiarius gelehrt, schliesst er den
Sang: am nackten, duftenden Körper der
Göttin schnuppert sich ein vorwitziges
Kaninchen mit glänzenden Augen und erregt
zitternden Ohren empor. Aber die Pierrot-
tänze, zu denen es wie Offenbach’sche

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 431, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-18_n0431.html)