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Obwohl der Besucher Bayreuths heut-
zutage gar manchen Grund zur Klage
davonträgt, so sehen wir doch allein in
Bayreuth eine mögliche Begründung für
all jene Hoffnungen, die angesichts unserer
sonstigen musikalischen Kunstanstalten
nur mehr zu Seufzern herabgesunken
sind.
Zwar wird von Kennern Karlsruhe als
der letzte Zufluchtsort gepriesen, der noch
idealen Zwecken getreu bleibt, allein wie
prekär eine Sachlage bleibt, wenn sie
ausschließlich von der momentanen
Wirkungsthätigkeit eines hervorragenden
Mannes abhängt, der durch die Macht
seiner Persönlichkeit Kräfte um sich
fördert und concentriert, dies haben wir
wiederholt erlebt. München hielt seinen
Rang als Musikstadt gerade so lange
aufrecht, als Levi an ihrer Spitze stand.
Und wenn ihm auch das systematisch
Eindringliche für allgemeine Eingriffe,
jener Ernst des Tyrannen fehlte, den nur
die Überzeugung verleiht, so war er durch
sein Verhalten dem Kunstwerk gegen-
über wohl sein geeignetster, unmittel-
barster und genialster Interpret. Nicht so
sehr »gestaltend« trat er den Meister-
werken gegenüber, als dass seinem unver-
gleichlich künstlerischen Impuls die
höchsten, tief umhüllten Regionen sich
erschlossen und seine eigene, in höchster
Passivität so wundervolle Ergriffenheit
den Zuhörer hinriss.
Aber das ist es nicht, wovon ich
hier reden wollte, da ich eben auf das
Unzulängliche einer Individualität hin-
weisen wollte, wo es sich um den Be-
stand einer allgemeinen Lage handelt.
»Persönlichkeit« und »Bestehendes« sind
leider keine congruierenden Begriffe! Eine
Individualität mag ein ganzes Volk, wie
einst Moses, trockenen Fusses durch ein
Meer führen, zuletzt wird sie doch von
den Fluten, denen sie gebot — ver-
schlungen. Immer wieder ragt zwar das
Grosse aus der Menschheit hervor, aber
die Menschen selbst sind jene stets wieder-
kehrende Ebbe des Tages, vor der nichts
Gutes unversehrt besteht Es ist dies
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ein Gesetz, das tief im Staube begrün-
det liegt.
Hienge nun auch Bayreuth ausschliess-
lich am Talente und der ganz speciellen
Befähigung Einzelner, so hätte es wohl
schwerlich den Bestand finden können,
den es thatsächlich noch hat. Denn
Eines nach dem Andern sehen wir die
ursprünglichen Kräfte — jene Säulen —
verschwinden, die dem ganzen Bau so
erhabene Stützen boten. Und trotz so
starker und beklagenswerter Schädigung
wankt er noch nicht. — Das Niveau war
dort von vornherein auf eine solche Höhe
gesetzt, dass es jetzt noch, wo wir es
als gesunken betrachten müssen, unendlich
weit über uns ragt.
Dies aber ist nur das Verdienst jenes
Einen, der ein so verzehrendes, allge-
mein menschliches Gefühl in sich trug,
dass es in seiner Überschwänglichkeit
die Fesseln der Individualität weithin
durchbrach. Das ist das Geheimnis jenes
Tempels, der wie ein Räthsel inmitten
des Tagesgetümmels steht, den unaus-
gesprochenen höchsten Anforderungen
so ahnungsvoll zuvorkommt — sie so
geheimnisvoll enthält. Die ethische
Tragweite Parsifals ist eine endgiltige.
Mit einer Art Bestürzung geräth dort so
Mancher, den das Leben täglich von sich
abzieht — auf den Grund seines eigenen
Wesens, und wie viele sind da stumm
vereint, währenddem Amfortas klagend
und gebrochenen Herzens vor dem Symbol
der Erlösung niedersinkt. Dass Wagner
so tief in Anderer Herzen zu greifen
wusste, weil sein Blick Strahlen auf
die höchsten, in der Menschheit ver-
borgenen Triebe warf, darin allein, und
mag man dies noch so sehr als eine
sentimentale Auslegung deuten, liegt unsre
Hoffnung auf Bayreuth. Ich schöpfe bei
den vielen drohenden Anzeichen des Ver-
falles in nichts anderem das Vertrauen —
als in den weit verstreuten, verständ-
nisvollen Gemüthern, denen Bayreuth
gehört und die sich auch in fernen
Zeiten zu Kräften einen werden, um es
zu bewahren.
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