Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 22, S. 536

Mascagnis »Iris« (Torchi, Ludwig)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 22, S. 536

Text

TORCHI: MASCAGNIS »IRIS«.

offenen Widerspruch zu ihrer eigenen
Natur setzen will.

Auch die Instrumentation des Ganzen
und die rein instrumentalen Stellen
wimmeln von Gemeinplätzen. Allerdings
macht die eine oder die andere Stelle in
der Einleitung, im ersten und dritten
Acte Effect. Doch wenn hier die Kritiker Ita-
liens von »symphonischen Wundern«
sprechen, so wäre es, glaube ich, eine
recht compromittierende Sache, die Herren
zu fragen, was denn nach ihrer Meinung
ein symphonisches Kunstwerk sei. Es
wurde direct behauptet, dass die Musik
Mascagnis ein Mirakel an Weisheit, ein
Non plus ultra an technischer Geschick-
lichkeit, ein Phänomen an durchgearbei-
teter Orchestration wäre. Glücklicherweise
wissen wir, auf welchen Punkt heute die
technische Fertigkeit in der Entwicklung
der Partitur mit den Opern eines Wagner
und den symphonischen Dichtungen eines
Richard Strauss und Rimsky Korsakow
gelangt ist, und wir können einfach in
Anbetracht der localen Umstände über diese
Behauptungen lachen, die uns zu glauben
die Ausländer die unendliche Güte haben.

Dennoch hat die neue Oper Mascagnis
in zwei der bedeutendsten Theater Italiens
Erfolg gehabt. Der Erfolg beim italieni-
schen Publicum wurde durch die »Hymne
an die Sonne
« bestimmt: ein strebe-

risches, akademisches, durchaus nicht ori-
ginelles Effectstück. Die anderen Piècen,
die einen gewissen Eindruck auf das Publi-
cum machen, sind alle von unterge-
ordnetem Wert: die Serenade des For,
der Chor der Mousmè, die Arie der
Piovra etc. Die Wirkung, die Mascagni
stets im Einzelnen und in den kleinsten
Theilen sucht, gibt den Masstab für den
Erfolg der »Iris.« Zwei Acte haben
einen ähnlichen, wenn nicht ganz gleichen
Schluss: der erste und der zweite; zwei
Theile haben sie ganz gleich: die Einleitung
und das Nachspiel — und zwei zu zwei
scheiden sich die Momente wechselweise.
Der erste Aufzug scheint mir der gefäl-
ligste. Der zweite ist eine langweilige
Serie von Bildern aus dem japanischen
Bordelleben mit dem Dazwischenwüthen
der Tam-Tams und Gongs. Der dritte
Act zeigt die originellste Seite Mascagnis;
aber das Publicum spendet erst Beifall, so-
wie die providentielle »Hymne an die
Sonne« der Situation zu Hilfe kommt. Die
ewige »Hymne an die Sonne«: da liegt
der Erfolg Mascagnis!

Schliesslich bleibt uns immer das
Problem des alten Widerspruches zwi-
schen dem Wert eines Kunstwerkes und
seiner Wirkung auf das Publicum; und
zwischen diesen beiden Süssigkeiten hat
Mascagni seine Wahl getroffen.

* Das Portrait Algernon Charles Swinburnes wurde in dem Atelier Elliott und Fry, London,
hergestellt * Zinkätzung von der Hof-Kunstanstalt Angerer & Göschl, Wien * Zweiplattendruck
von der Hoftheater-Druckerei, Wien * Japanisches Jo-Papier von R. Wagner, Berlin *
* Nachdruck des Bildes ist untersagt *


Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. —Verantwortlicher Redacteur:
Constantin Christomanos.

K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I. Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 22, S. 536, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-22_n0536.html)