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jede edle Linie; sie ist nur mehr ein
Stückchen Unglück, das im vollständigen
Stumpfsinn aufgeht.
Die Musik Mascagnis ist weder neu,
noch in der Zeichnung besonders ver-
schieden von seiner sonstigen Art, doch
hat sie weniger Kraft, Wahrheit und
Stetigkeit. Originell und seltsam will er
sein, aber seine Bemühungen sind ohne
Erfolg. Seine Anwendung des Leit-
motivs ist eine klägliche. Das Leitmotiv
ohne organische und organisierende Be-
deutung scheint mir ein Unsinn. Die
wenigen Motive Mascagnis, die thematisch
sein möchten, sind fertig, sowie man sie
einmal gehört hat — fertig und erschöpft;
weder eine harmonische, noch rhythmische,
noch orchestrale Steigerung gibt es in
dieser Oper. Abwechslung, Entwicklung,
Zusammenstellung der Motive sind unserem
Meister spanische Dörfer. Die fesselnde
Kraft eines thematischen Motivs hängt von
der ökonomischen Art ab, in der es be-
ginnt; Mascagni aber fängt mit unvor-
sichtigem Feuer an und endet mit ein-
schläfernder Müdigkeit. Er beweist wie
seine Collegen, dass er ein System musika-
lischer Composition nicht versteht, das
wahrscheinlich nicht für Musiker italieni-
scher Abkunft taugt, so sie nicht vielleicht
unbewusst dieses System dämpfen oder
doch in Dem, was sie machen, gewisser-
massen Rache nehmen wollen an dem
Germanismus, der heute die gesammte
italienische Musik beherrscht. Und wenn
die musikalischen Motive der »Iris«
wenigstens neu und zart wären. So aber
sind sie schwach, nach Athem ringend,
schlecht aufgebaut, von keinen Charakteren
künstlerisch gehalten. Auf der Stufenleiter,
die Mascagni beim Abstieg von der dra-
matischen Musik phantastischer Art zum
heutigen Operettentypus durcheilt, hält er
sich in der »Iris« mit Vorliebe auf den
Sprossen dieses untergeordneten Zweiges
auf. Und da in seiner Musik nicht die
organische melodische Gesammtheit den
Wert trägt, sondern lediglich die einzelnen
Melodien, die einzelnen Stücke, so fehlt
nun nichts anderes, als dass er, um sein
Zerstückelungswerk zu vollenden, der Herr
der Arie, der Cabaletta und der Vari-
ationen werde, wie er ja schon so
mancher anderer Dinge Meister geworden
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ist, und diese Formen als die Werkzeuge
unserer nächstliegenden Glückseligkeit her-
aufbeschwöre. Die Modulation in der »Iris«
ist willkürlich angewendet, sie ist zur
Laune geworden und darum ohne Wirkung.
Leute freilich, die sich anfangs in ihrer
Begierde, die »Iris« mit den früheren
Opern Mascagnis zu vergleichen, wie toll ge-
berdeten, constatieren, dass der Componist
sichtliche Fortschritte gemacht habe. Nun
ist aber in der ganzen »Iris« kein an
Feingefühl und Melodie so reiches Stück,
wie etwa die Erzählung Ratcliffs, und
nicht einmal die liebliche Poesie, die uns
aus dem zweiten Aufzuge des »Freund
Fritz« entgegenweht. Das Vorspiel des
dritten Actes bedeutet das Fortschreiten
in der musikalischen Abirrung. Die rohe
Materie der Musik geberdet sich hier
wie Kunst; herbe Harmonien — ohne
Zusammenhang und ohne Ideen, das
heisst: ohne Musik! Und wozu dies
alles? Um die obscöne Dunkelheit des
Unflats zu schildern, in den sich die arme
Iris gestürzt! Die wahnsinnig hastende
Modulation mit ihren verzweifelten Sprün-
gen wird nicht durch organische Noth-
wendigkeit, nicht durch Gründe ver-
änderten poetischen Ausdrucks bestimmt;
und auch technisch ist Alles, was eine
gewisse Beziehung zwischen den Gliedern
der Tonfamilie erhalten sollte, in mehreren
Fällen zerstört. Mascagni zögert nicht,
auf rauhe Art die entferntesten Glieder
dieser Familie aneinanderzureihen, um
seine Sucht nach Auflösung der Auf-
lösung halber zu zeigen. Und wie er
das thematische Motiv nicht einmal in
seiner elementarsten Wesensart begriffen
hat, so klaubt er andererseits Wagner
und Berlioz in einigen ihrer vereinzeltsten
Seltsamkeiten auf. Und daraus macht er
»Verismus« für sich selbst, der — auf-
richtig gestanden — nicht einmal mit
jener Natürlichkeit des Ausdruckes Schritt
hält, den dieses jung-italische Schul- und
Bannerwort in sich zu fassen pflegt. So
ist der »Verismus« in der ›Iris« in Be-
stimmung und Behandlung verfehlt. Und
so geschah es, dass der Componist mit
dem Vorspiele und dem dritten Acte Dinge
zu sagen vorgab, die mit musikalischen
Mitteln gar nicht ausgedrückt werden
können, wenn die Musik sich nicht in
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