Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 23, S. 548

Werden und Vergehen (Scholz, Wilhelm von)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 23, S. 548

Text

WERDEN UND VERGEHEN.
Einiges über unser Verhältnis zu den Worten.
Von WILHELM VON SCHOLZ (München).

Dreifach ist unser Verhältnis zu den
Worten. Früh verbinden wir mit dem
Worte einige mehr oder weniger gleich-
giltige, verstandesmässige, gelernte Asso-
ciationen, die eigentlich nicht mehr wirken,
als dass sie das Wort von anderen Worten
unterscheiden. Es ist ein Kind, das das
Wort »todt« spricht. Da gilt recht eigent-
lich: »Name ist Schall und Rauch.«

Langsam wachsen wir in die Worte
hinein, und plötzlich entdecken wir das.
Und dann flutet eine Fülle von Schauern
und Geheimnissen aus dem Wort-Innern
auf uns zu; und durch diese Geheim-
nisse sehen wir bisweilen wie durch zer-
rissene Wolken in Abgründe: das ist die
Tiefe alles Dessen, was das Wort uns
sagen möchte, was es uns Tauben lange
vergeblich zu sagen rang. Dann sind uns
die Worte furchtbar, dann bedrängen sie
uns mit ihrem gespenstigen Leben,
dann lasten sie auf uns mit ihrer Wucht,
denn in jedem selbständigen Wort liegt
fast die ganze Welt. Dann ringen wir mit
ihnen um unser Leben, das sie beständig
zu verwirren suchen; und wenn wir sieg-
reich gewesen sind — dann haben wir
uns eine Sprache geschaffen, dann sind
uns die mächtigen Worte dienstbar ge-
worden. Das ist unser drittes Verhältnis
zu den Worten. Sie sind Gefässe, deren
furchtbaren oder seligen Inhalt wir kennen,
und die wir, zu unserem Gebrauche bereit,
verschlossen in unserem Schranke auf-
gestellt haben. Sie sind unser Besitz. Und
weil wir Alles, was wir besitzen, in unser
Ich aufnehmen, das wir dadurch grösser
und weiter machen, so dehnen wir unser
Ich nun aus über alle Höhen und Tiefen
des Lebens.

Diese dritte Stufe, unser bleibendes
Verhältnis zn den Worten, ist nun aber
keine Stagnation. Wir werden sehr bald
inne, dass die Gefässe Zaubergefässe sind,

die unsichtbare Zuflüsse und Abflüsse
haben; dass sich heimliche Wandlungen
in ihnen vollziehen, trotzdem sie ver-
schlossen dastehen. Das Mystische des
Wortes wird uns bewusst. Und in einigen
von ihnen sahen wir so Schauriges ge-
schehen, dass wir sie mit heiliger Scheu
betrachten und kaum mehr wagen, sie
anzurühren. Und die Gefässe, in denen
sich ewig Wandlungen vollziehen, werden
anch für uns langsam die Gefässe der
ewigen Wandlungen
; sie bedeuten
uns nichts Festes mehr. Und das Wort,
das einst uns eine bestimmte Reihe ab-
gegrenzter Vorstellungen war, erweckt in
uns nur noch den Gedanken an ein ge-
heimnisvolles Sich-Wandeln. Alle Grenzen,
die mit ihrer Enge wesenlose Begriffe
ermöglichten, sind geschwunden. Grenzen-
los flutet das Unsagbare. Und der Becher,
den wir berühren, soll nicht mehr sein
als eine der vielen Quellen des Unsag-
baren.

So ward uns in den Worten ein Sym-
bol der Erscheinungen.

Den Sinn der selbst dem platten Men-
schen gelegentlich geheimnisvollen Worte
Werden und Vergehen fassen wir in
der ersten Periode unserer Entwicklung
recht äusserlich — etwa im Bilde der
Pflanze; und von den inneren Beziehungen
der beiden Worte zu einander wird uns
wenig klar. Dies Wenige beschränkt sich
etwa darauf, dass wir erkennen: sobald
irgend etwas mit dem Werden aufgehört hat
und dem Vergehen anheimfällt, so nährt
sich aus diesem Vergehen irgend ein
neues Werden, und so hat sich auch —
das ist die ewige Reihe — das ursprüng-
liche Werden an einem längst beschlos-
senen Vergehen genährt. Wir glauben,
dass diese Worte einander ablösen; viel-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 23, S. 548, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-23_n0548.html)