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Wienerthums gehalten wurde. Das Im-
peratorische ist geschwunden. Das
Imperatorische, das einst nach aussen
hin die bewundernden Massen zu Haufen
getrieben; das Imperatorische, das einst
nach innen hin zu Zucht und Sieg ge-
zwungen. Wo vor Jahren die Initiative
stets beweglicher, wagemuthiger Männer
strahlte, gähnt heute eine Beamten-
friedlichkeit, die das Erhabenste ins
Sitzfleischmässige herabzieht und
einen lethargischen Bureaukratismus zeugt,
der sich auf regulärem Instanzenwege in
absteigender Linie den Schauspielern mit-
theilt. Denn Schwere ist suggestiv.
So streichen sie, die sich einst nach
Recht und Gewissen Künstler nennen
durften, ihre olympische Gage ein, wie
man in Diurnistenkottern sein amtliches
Salarium einstreicht, und kommen dafür
zu bestimmter Tages- und Abendstunde
missmuthig ins Bureau, um missmuthig
zu »arbeiten« und missmuthig in ihr
Cottage zurückgerollt zu werden. Die
Courtine hat sich in einen Postschalter
verwandelt; der Hohlraum, den sie ab-
schliesst, in ein Postbureau, das längst schon
Abgestempeltes mit der Unlust übernäch-
tiger Manipulanten dem geduldig har-
renden Pöbel vor die Füsse wirft. Die
Burgschauspieler sind Spielbeamte
geworden.
»Grosse Menschen wirken wie die
physischen Ursachen der Natur, wie
Feuer, wie Wasser « — sagt Goethe.
Im alten Burgtheater, das kein Mauso-
leum war, konntest Du die unvergleich-
liche Wahrheit dieser Worte an Deiner
eigenen Seele erproben. Und heute noch
scheint es, als hörtest Du die Wälder
rauschen, als sähest Du die Sonne breit
dahinfluten oder den Sturzbach über
Klüfte jagen, so oft Dich das Glück be-
schleicht, jener Nächte zu gedenken
Die Schwere hatte keine Freistatt dort.
Der Nachwuchs aber, der das von
den Vätern Ererbte erwerben sollte, um
es zu besitzen, ist durch verfehlte Auf-
pfropfung fremdartiger Triebe ganz un-
organisch erwachsen. Aus »verwendbaren
Schauspielern« remitiert er sich, — will
sagen: aus jungen Beamten (Copisten,
Cöncipisten, Offidalen etc.), die ihre tem-
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peramentvolle Unbeholfenheit — falls man
den Schlendrian in Permanenz erklären
sollte — durch die Gediegenheit einer
soliden Gewöhnung remplacieren werden,
sobald sie die amtlich geforderte Anzahl
von Dienstjahren und Rosetten in Ehren
erreicht haben werden
O welcher edle »Geist des Burg-
theaters« ist hier zerstört!
Wie sollte es da also gelingen, mit
ästhetischen Wünschen durchzudringen,
an deren Erfüllung füglich nicht ge-
dacht werden kann, solange man nicht
wenigstens drei Millimeter über dem
Kalbskopf der Aurea Mediocritas schwebt?
Zwar: aus der Entwicklung der Künste,
die vom Auslande her an unsere Ufer
schlagen, schaut allerwärts das innigste
Bemühen, den Alltag von innen her
zu überwinden und so zu den reinsten
Gnaden der Kunst zu gelangen. Jener
nachhinkende Intellect, der nur Beob-
achtungen beamtenhaft aneinanderreiht,
mit Fischaugen in die Welt blickt und
den Achtelkünstlern (also den Vollkünstlern
unserer Zeit) als Surrogat für mangelnde
Intuition zu dienen pflegt, scheint
endlich — in Dicht-, Schauspiel-, Mal-
kunst und Philosophie — abwirtschaften
zu müssen. Mit dem Aufgebot aller
seelischen Energien spürt man nun wieder
jenem divinatorischen Agens nach,
das — wie die Meisterwerke aller Zeiten
und Völker lehren — die Wunderkraft
gibt, ein intuitiv erfasstes Stück Welt
ohne Rücksicht auf Wahrscheinlichkeits-
tabelle und Logarithmentafel nach der
Schöpferlogik des Augenblicks aus einem
Punkte erstehen und zwecklos, wie einen
Kreisel, in geschlossener Linie laufen
zu lassen.
Wie aber sollten derlei Anschauungen
hierzulande in Geltung kommen, da wir
doch noch immer nicht jene drei Milli-
meter überwunden haben, die den Kalbs-
kopf der Alltäglichkeit von der darüber
liegenden freieren Luftschicht trennen?
Uns fehlen die intuitiven Dichter. —
Gut.
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