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hören, die gern verweilen und gerade im
Verweilen, wie Moltke oder Friedrich der
Grosse, die herrlichsten Schlachten schlagen.
Worauf es aber ankommt, ist fast aus-
schliesslich die Spannkraft der In-
stincte, die, dem Nährboden einer be-
harrlichen und hochgestimmten Persön-
lichkeit entsprungen, mit somnambuler
Sicherheit das Richtige treffen. Der
Intellect kann eben auch hier, wie wohl
auf allen Gebieten schöpferischer oder
nachschöpferischer Bethätigung, nur der
nebenherlaufende Schildträger sein.
So erfordert der Beruf des Bühnen-
leiters eine ganz eigene Selbst-Cultur: die
über den Dingen gaukelnde Freiheit der
Seele, die das Entlegenste im Augen-
blicke zu verbinden weiss und stets den
idealen Punkt zu fühlen vermag, in dem
sich die heterogensten Fäden zur Stunde
vereinigen müssen. Nur dann wird er das
Leichte, Lacertenhafte, Ewig-Wechselnde
seines Wesens, das Spielerische im höch-
sten Sinne — wie es der Schauspieler
dem Publicum zu vermitteln hat — pro
foro interno seiner Truppe suggerieren
können. Nur dann wird er innerliche
Freiheit und Anmuth säen und — da
nun schon der absonderliche Ausdruck an-
geschlagen ist: — zur Entfettung der
zeitgenössischen Psyche beitragen können.
Das war ja auch das Geheimnis der sug-
gestiven, quecksilberigen Wirkung, die einst
Mitterwurzer, der Gaukler, auf den Geist
und die Gelenke der mitwirkenden Burg-
schauspieler ausgeübt. Und das mag wohl
auch, scheint es, das Geheimnis der
Suggestionen sein, mit denen Kainz, der
Gaukler, die Burg-Collegen zu überfluten
beginnt. Denn eben Dieses ist es, was den
stagnierenden Weiher kräuseln könnte: man
mische Gaukler, erlauchte Gaukler,
unter die Spielbeamten; man pfropfe die
saftigsten Reiser ihrer Svengalikünste auf
die brüchigen Stengel der Schläfrigen und
sehe ohne Überhastung zu, was aus solch
verwunderlicher Mischung werden mag.
Doch verfahre man solchermassen nicht
etwa aus brutalen Gründen, die mit jenem
Oculiersystem nichts zu thun haben —
also beispielsweise, um das Publicum zu
vergnügen, die Casse zu füllen oder sich
selber zu retten. Und vollends stelle man
nicht all’ sein’ Sach’ auf Einen, wie das
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jetzt geschieht; denn schliesslich kann
ein Kunstkarren, der von einem ehrlichen
Rudel müder Wiederkäuer in Moor und
Torf verfahren worden, von einem ein-
zigen Flügelpferd nicht flott gemacht
werden.
So herrscht denn zur Zeit jene trost-
lose Schwere im Burgtheater, wie sie
jüngst erst die Darstellung des »Hamlet«
aufs neue geoffenbart hat. Wo es stets
nur »heissa, Vögelchen!« heissen sollte,
tappten Bären durch die Acte, vierschrö-
tigen Gehabens und rathlos, was mit den
eigenen Worten und Extremitäten zu be-
ginnen sei. Wo Kainz nichts als: Nerv,
Auge, Bewegung war, stiess er auf nichts
als: Trägheit, Blindheit, Beharrungsver-
mögen, fand nirgends Zündstoff, nirgends
Reibungsflächen, nirgends Reflexprismen
und nahm sich zwischen solch schläfriger
Sterilität wie der zuckende Blitz inmitten
eines weissen Winterhimmels aus. So
wurde ein Drama, das — wie kein
zweites der Weltliteratur — die genialste
Überwindung der irdischen Schwere be-
deutet, von einer »schlotterichten« Regie mit
der Behäbigkeit eines Walfisches oder
Kameels in Scene gesetzt, wo es doch
die Gelenkigkeit eines Wiesels erfordert
hätte; aber es rächte sich selbst am
würdigsten: denn in jener einen Rede
an die Komödianten, die schon lange eine
Predigt wider die Burg-Regie ist, gab es
dem Träger der Hauptrolle Gelegenheit,
die Collegenschaft des Hauses coram
publico in überzeugendster Weise abzu-
kanzeln.
In einem Maasse also ist diese Schwere
eingezogen, dass an eine radicale Aus-
baggerung vorderhand — mit und ohne
Kainz — nicht zu denken ist; vielmehr
wird es schon höchlich zu preisen sein,
wenn es allmählich gelingen sollte, durch
eine General-Lüftung des durchaus unge-
lüfteten Hauses für Kainz, Publicum und
Kritik eine Atmosphäre zu schaffen, die
ein befreiendes Arbeiten und Geniessen
nicht von vornherein ausschliesst. Und
dieser Tiefstand der »Ersten Deutschen
Bühne« mag nur die Folge jener inactiven
Betriebsamkeit, jenes lässigen Gewähren-
lassens, schweisstriefenden Nichtsthuns und
geschäftigen Zögerns sein, das bislang —
wohl mit Unrecht — für ein Specificum des
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