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Man kann sich wohl denken, dass die
Schriftsteller, die ungefähr zum Gehalt
eines Deputierten nach zehn bis fünfzehn
Jahren geistiger Arbeit gelangt sind, ihre
Einnahmen zu vermehren suchten. Die
moderne Presse bot ihnen eine neue
Quelle des Verdienstes, und sie stürzten
naiver Weise hinein. Der literarische
Journalismus wurde erfunden.
Der moderne Journalismus ist ein wahrer
Hohn. Es gibt nicht mehr jene schönen,
homogenen Redactionen von früher, deren
sämmtliche Mitglieder befreundet waren,
sich seit langer Zeit kannten, wo Jeder seine
Bedeutung hatte, alle täglich zusammen-
kamen und mit ihren Verlegern einen gemein-
samen Ideenplan hatten. Die Zeitungen sind
heute Fabriken, in denen die Redacteure
sich meistens nicht kennen, keine Initiative
haben, wo Jeder eine Rubrik füllt, ohne
moralische Cohäsion mit den anderen, und
seine kleinen Papiere fabriciert, welche die
Setzer schlecht und recht verarbeiten. Die
Redacteure haben kein geistiges Interesse
an ihrer Zeitung. Sie wechseln sie leichten
Herzens und treiben dasselbe Handwerk in
den Zeitungen entgegengesetzter Färbung.
Eine Zeitung ist heutzutage ein trauriger
Haufe von Artikeln und Notizen, die man
von jedem Ende lesen kann und aus der
sich Jeder Das herausholt, was ihn gerade
interessiert. Die Zeitungsverleger haben
aber alle den Ehrgeiz, eine »Redaction« zu
haben, und da sie meistens ungebildete
Geschäftsleute sind, so werden sie nur
desto anspruchsvoller. Die Politik zu leiten,
dürfen sie nicht beanspruchen, denn ge-
wöhnlich sind sie die Angestellten eines
Syndicats von Aktionären, welche die Politik
des Journals einer Partei für eine gewisse
Summe verkaufen. Die Directoren oder
»Chefs« werden also nur ernannt, um, je
nach der Parole der Person oder Partei, die
sie subventioniert, bestellte Artikel schreiben
zu lassen. Nur auf dem literarischen
Gebiet bleibt ihnen eine gewisse Initiative,
und darum inaugurierten die Girardins,
die Nefftzers, die Villemessants den so-
genannten »literarischen« Journalismus,
indem sie den Schriftstellern die Mit-
arbeiterschaft für Geschichten und Novellen
mit Verträgen und festem Gehalt anboten.
Die Folgen dieser »Wohlthat« sind,
waren und werden schrecklich sein, trotz
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ihres verführerischen Anscheines. Nie ver-
barg eine scheinbare Grossmuth mehr
materielle und moralische Gefahren. Der
Köder eines solchen Vortheiles musste die
Schriftsteller nothgedrungen anlocken. Sie
fanden ein sicheres Gehalt, eine wahre
Rente, indem sie Geschichten schrieben,
die ganz naturgemäss zu Ende des Jahres
einen Band bildeten, oder Artikel verfassten,
in welchen sie ihren socialen und moralischen
Ansichten Ausdruck verliehen. Die Jour-
nalisten hoben ihre Zeitungen, indem sie
ihren Lesern für zwei Sous glänzende
Stücke und Erzählungen berühmter Autoren
boten. Jedermann schien zufrieden. Doch
wir werden bald die Unzuträglichkeiten
dieser Neuerung sehen. Constatieren wir
inzwischen die materiellen Vortheile. Sie
vermehren die Einnahmen eines Schrift-
stellers um 200—500, ja sogar um
1000 Francs und darüber, für zwei bis vier
Artikel oder Erzählungen monatlich. Man
muss die Einnahmen von Seite der
Revuen streichen, weil ein Mann, der alle
acht Tage eine Geschichte oder einen
Artikel schreibt, besonders, wenn er noch
jedes Jahr einen Band verfasst, nicht noch
ausserdem umfangreiche Studien arbeiten
kann. Doch der Vortheil eines fixen
Gehaltes bleibt klar, ganz abgesehen von
der wöchentlichen Verbreitung seines
Namens, der mehreren Hunderttausenden
von Lesern geboten wird.
Damit ist das Tableau der materiellen
Vortheile des Schriftstellers in Paris zu
Ende. Ich werde mich zum Schlusse dieses
ersten Theiles auf die Bemerkung be-
schränken, dass das Princip der ungerechten
Vertheilung der Einnahmen in der Welt
der Revuen und Zeitungen ebenso ungerecht
ist wie in der Theaterwelt und im Buch-
handel. Man berücksichtige in der That,
dass eine Ausgabe eines Romans zu 1500
Exemplaren, der ein Jahr Arbeit gekostet
hat und vielleicht wunderbar ist, im Princip
525 Francs bringt; dass andererseits fünf
bis sechs Chroniken, von denen eine jede
in zwei Stunden geschrieben ist, oder zwei
Revue-Artikel, die im ganzen zehn bis
zwölf Tage Arbeit kosten, dasselbe Honorar
verdienen; man vergleiche die aufgewendete
Zeit und die Summe von Arbeit, und
sage, ob es eine überraschendere Absurdität
gibt als die Bezahlung derselben Summe
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