Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 25, S. 602

Hypnotismus und Magnetismus I. (Thomassin, Carl von)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 25, S. 602

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THOMASSIN: HYPNOTISMUS UND MAGNETISMUS.

Patienten Hauch eingeblasen und Striche
über den Körper gemacht wurden. Diese
Art zu heilen findet sich sonst nirgends
wieder und dürfte als eine Art »Ringen
mit der fliehenden Seele« poetisch aufzu-
fassen sein«.

Der Autor deutet übrigens noch darauf
hin, dass in diesen Fällen »selbstredend
jede Kritik fehle, und dass, wenn man
dieselbe ausüben wollte, sie schon allein
an dem Umstände scheitern würde, dass
wir nicht wissen können, ob Tod, Schein-
tod, Starrkrampf, Epilepsie oder Hysterie
vorlag«. Er bemerkt ferner, dass diese
Art zu magnetisieren wohl auch nicht
die allgemein übliche war. Denn als
Naëman sich durch Elisa von seinem
Aussatz heilen lassen wollte, sollte Elisa
seiner Annahme nach über den Aussatz
mit der Hand manipulieren (2. Könige
5, 11). Schließlich weist Schröter sodann
noch darauf hin, dass ein grosser
Unterschied zwischen dem israelitischen
und dem heidnischen Verfahren war, ob-
gleich beide Richtungen schliesslich das-
selbe thaten und bezweckten, und zwar
Folgendes: Bei den Heiden lief alles, also
auch die Heilerfolge durch ihre Priester,
auf Geschäft, Gewinn, Selbstsucht und
niedrige Leidenschaften hinaus es lag
im ganzen Gebaren eine absichtliche Ge-
heimniskrämerei voller Eigennutz; die
Juden dagegen wiesen die Ehre ihrem
Gotte zu, sie sahen Auserwählte, von
Gott Bevorzugte in den Männern, die
sie geistig und körperlich pflegten und
führten. Diese Behauptungen über die
moralische Schlechtigkeit der heidnischen
Priester-Magnetiseure durften wohl in ihrer
Verallgemeinerung vielfach dasselbe Be-
fremden hervorrufen wie anderseits in
gewissen theologischen Kreisen die moderne

Erklärung dieser im alten Testamente
verzeichneten göttlichen Heilwirkungen.

Bezüglich der »Heilungen Jesu« äussert
sich übrigens unser Autor im Gegensatze
zu vielen modernen Kritikern folgender-
massen: »Die Heilungen Jesu geschehen
auf eine Weise, wie sie weder ein Magne-
tiseur noch ein Hypnotiseur je vollzog.
Er legte sich nicht auf die Todten, wie
Elias und Elisa es thaten, er rief den
Lazarus aus der Gruft hervor, ohne jede
»Manipulation«; er befahl dem Haupt-
mann, heimzukehren, sein Knecht sei
gesund; er nahm den Jüngling zu Nain
an der Hand, wie des Jairus Töchterlein,
und sie erwachten. Er vollzog Heilungen
ohne Worte, durch Worte, ohne Berührung,
mit Berührung, ohne Hilfsmittel, mit Hilfs-
mitteln, ohne gegenwärtig zu sein und wieder
in seiner Gegenwart. Das kranke Weib
berührte sein Kleid; also nicht einmal von
seinem Willen abhängig vollzog sich da
die Heilung Eine Kritik an die Hei-
lungen Jesu legen hiesse ein Verbrechen
begehen, denn seine Thaten stehen so hoch
erhaben über aller Menschen Thaten, dass
nur ein Verblendeter es wagen kann, seine
eigenen Thaten mit denen Jesu vergleichen
zu wollen.«

Durch die Verbreitung des Christen-
thums wurde im Osten und Westen die
alte Magie verdrängt. Auch im Norden
Europas mussten schliesslich die »hell-
sehenden« und heilenden Druiden und
Alraunen ihren Zauberkünsten entsagen.
Es entwickelte sich nun die christliche
Mystik, und an die Stelle der alten Priester-
Magnetiseure traten die Heiligen, die ihre im
Ringen nach seelischer Vervollkommnung
erlangten Kräfte zum Heile der leidenden
christlichen Mitbrüder anwandten.

Artikel II über Hypnotismus im Mittelalter und in der Neuzeit bis zur Entwicklung des
Mesmerismus folgt in der nächsten Nummer. D. RED.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 25, S. 602, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-25_n0602.html)