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kein Leben durch sich haben, sich nicht
bewegen können, wenn ihnen der Autor
nicht stets zu Hilfe eilt und den Glieder-
puppen unter die ungelenken Arme greift.
Wenn Ihr zeugen könnt, was Leben hat,
schickt die Kinder muthig in die Welt;
sie werden für Euch reden, sie werden
handeln können; Ihr mögt Euch der Ge-
rathenen freuen und nicht mit bänglicher
Miene unbeholfen hinter den Unbeholfenen
herschreiten und sagen: »Sei so und be-
nimm Dich solchermassen«. Sie thun es
nicht — und niemand glaubt Euch!
Auch Stammler und Taube seid Ihr.
Denn Ihr habt der Sprache noch nicht
das offene Geheimnis abgelernt, wie sie
für sich selber jegliches Leben zeuge und
bewege. Und doch darf keiner sich Dichter
nennen, der dies nicht begriffen und der
nicht weiss, die Sprache reden und
handeln zu lassen: denn sie ist des Dichters
einziges Mittel. Ihr aber sprecht über die
Sprache; Ihr sucht den Hebel zu heben,
da Ihr ihn nicht benützen könnt. Es ist
ein Irrthum, und der schlimmsten einer:
der Dialog sei nur Schmuck der Ober-
fläche, Haut der Haut, das Wort eine
zierliche Tünche, aufgelegter Schimmer
im Drama, der nur Tiefen verhülle, Tiefen,
unter denen sich Keiner von Allen, die
so wähnen, etwas Bestimmtes vorgestellt
hat. Das Wort und nur das Wort ist die
Tiefe selbst, ist der gewachsene und
wachsende Leib, ist Blut und Geist des
Dramas. Die dramatische Kunst weiss von
keiner Tiefe, als Tiefe durch das Wort,
von keiner Handlung, als Handlung durch
das Wort und im Wort. Und wohlver-
standen: die Sprache meinen wir, welche
die Gestalten des Stückes reden, und die
Gestalten, welche sich, aus ihren Worten
uns verkünden. Denn Gestalt wie Sprache
ist so gezeugt als zeugend, Frucht und
Same zugleich. Was der Dichter nicht
durch das Wort aus dem Busen seiner
Gestalten lebendig und That werden lässt,
ist Schmutz im Drama, ein Ding am
unrechten Ort. — So sehen wir die Hand-
werkswinke an. Lasset sie den Regisseuren.
Was macht Shakespeare, Calderon, Molière,
Goethe als Dramatiker so gross: dass sie
auch die grössten Sprachmeister sind, dass
ihnen nämlich das Wort zum Gebild wurde
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und nimmer Rede blieb, dass der
Dialog dadurch fähig wurde, die Seele
und des Leibes kleinste Regung gleich
mächtig zu beherrschen und zu verkünden.
Wo bedurften sie eines anderen Herolds
als des bildsamen Wortes? Bilde Künstler,
rede nicht! Ihr aber redet. Berufet Euch
nicht auf Schiller! denn dies ist’s, was
man an ihm tadelt, dass er in seinem
minderen Jugendwerk glaubte reden zu
müssen, um genug zu geben. »Wir haben
aber eine neue Kunst; jenes war die alte.«
Ja, da eine eigene Kraft, die Neues schaffe,
mangelt, begnügt man sich, gegen die
alte heilige Kunst zu verstossen.
Bis zur schreienden Fratze hat dies
traurige Unwesen Wilhelm von Scholz
getrieben; er mag hier als Typ und Bei-
spiel einer ganzen Schar vorgerufen
werden. Sein Schauspiel »Der Gast« hat
er mit seiner eigenen Stimme so gefüllt,
dass die dürftigen Seufzer der Personen
kaum vernehmbar sind. Die ärmlichste
Scheuer zu stützen, hat er grobe Balken
und Stämme dawider gelehnt, die einen
Palast verbergen könnten. Nicht genug!
Er gibt im Personenverzeichnis die
Charakteristik der Gestalten an. Welch
Geständnis hilfloser Schwäche. Er be-
kennt: »Ich bin nicht fähig objectiver
dramatischer Gestaltung, aber so soll es
sein, so wollte ich’s! Glaubt mir doch,
Leser! Füllet aus, Zuschauer! Bildet doch,
Schauspieler! Ihr seht ja meinen guten
Willen«.
Guter Wille ohne Kraft: ein trauriger
Bettler vor der Thüre der Kunst. An-
massung gilt nicht für Schaffen.
Scholz mag sich entschuldigen, er
wolle die Darstellung den Schauspielern
erleichtern. Keine Entschuldigung! Können
die Schauspieler nicht mit und aus dem
einzig wahren Mittel des Dramatikers:
dem Wort eine Gestalt sich vorbilden,
so ist’s keine Gestalt, oder sie sind keine
Schauspieler.
Genug! Es ist nicht gut, zu polemisieren,
am wenigsten gegen das ganz Belanglose.
Aber es ist gut, dass auch das Belang-
lose uns aufrufe, zu sehen und zu denken.
Renn Barbarei und Unvermögen auch
der Dürftigen wird giftig und gefährlich,
wo man sich gewöhnt, sie zu dulden.
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