|
Gesammelte Aufsätze über Hugo
Wolf. Zweite Folge. S. Fischer,
Verlag. Berlin. — Jeder Musikfreund
wird sich wohl schon über die Art, wie
in Concertsälen Lyrik vorgetragen wird,
seine Gedanken gemacht haben. Er wird
schon oft gefunden haben, dass die
musikalische Lyrik, welche vielleicht die
intimste Form der Kammermusik ist,
im Concertsaale ihre feinsten, discretesten
und reizvollsten Wirkungen vollkommen
verliert. Die Eindrücke, welche man von
einem Lyriker in der Studierstube und im
Concertsaale erhält, decken sich nie. Der
Unterschied ist so gross, wie der zwischen
einer erlebten Liebesscene und einer, die
man noch so meisterhaft und suggestiv
vortragen hört.
Was von allen musikalischen Lyrikern,
beispielsweise von Schubert, gilt, gilt von
Hugo Wolf in erhöhtem Masse. Vom
Mörike-Album an bis zu den italienischen
Liederbüchern bedeutet die Reihe seiner
Werke ein ununterbrochenes Wachsen an
Geistigkeit, Tiefe, artistischer Cultur, eine
wachsende Sensibilität des Gehörs für inner-
liche Dinge, eine tiefere künstlerische
Reizbarkeit Zwischen seinen ersten
und letzten Werken liegen Wandlungen,
wie die Goethe’sche, von jugendlich-volks-
thümlichen, doch schon künstlerisch ver-
edelten Volkspoesien zur künstlerisch be-
sonnenen, weisen und tiefen Kunstlyrik.
Je intensiver die Kunst Hugo Wolfs wird,
desto zarter und zurückhaltender wird sie;
sie zwingt förmlich, den Athem anzuhalten
und recht still und empfänglich zuzuhorchen.
Mit ungeheurer Schamhaftigkeit wird jeder
überflüssige Ton unterdrückt, um die In-
tensität des Gesagten zu verstärken.
Melodie-Rückungen um einen Halbton —
bei Schubert etwas melodisch und harmo-
nisch vollkommen Identisches, eine vor-
übergehende Alteration der Tonhöhe —
bedeuten hier schon ganz fremde und
gegensätzliche Welten; von jedem Accorde
werden nur die wichtigsten und charakter-
vollsten Töne hingestellt. Die peinlichste
Sparsamkeit waltet überall; eine wunder-
|
volle Aristokratie der Geberde, des Ge-
fühles und der Worte.
Es ist klar, dass zur Popularisierung
eines solchen Künstlers Concerte nicht
allzuviel beitragen. Sie bieten wohl für
den Einen oder Anderen wertvolle An-
regungen, die Manchen zu einem intimeren
Studium des Werkes verleiten. Im übrigen
wiegt das Bekanntwerden mit Hugo
Wolf’schen Liedern im Concertsaale nicht
mehr als eine Salonbekanntschaft. Man
tauscht ein paar Complimente und ver-
bindliche Worte aus, lächelt da und dort
und geht, nachdem man wieder ein paar
Worte der Anerkennung getauscht hat.
Um diese Bekanntschaft dauernder und
intimer zu gestalten, gibt der Wiener
Hugo Wolf-Verein kleine Bändchen
heraus, welche gesammelte Aufsätze über
Hugo Wolf enthalten. Es ist dies eine
taktvolle und vornehme Art von Reclame
für den grossen Künstler, die den
Musikfreund anregt, sich intimer mit der
Persönlichkeit desselben zu beschäftigen.*
Indem ihm die künstlerische Gestalt Wolfs
unter verschiedenen Perspectiven gezeigt
wird, gewinnt er eine Ahnung von dem Reich-
thum, der Vielseitigkeit, der Compliciertheit
dieser musikalischen Natur. Da er ausgezeich-
nete Männer reden hört, lässt er sich willig
und gern überzeugen. Soeben ist ein
zweiter Band dieser Aufsätze über Hugo
Wolf erschienen, den ich der Aufmerk-
samkeit aller Musikfreunde empfehle.
Aus der Reihe der Aufsätze ragen
namentlich zwei bedeutend hervor. Der
eine über die italienischen Liederbücher
von Josef Schalk, welcher mit ausser-
ordentlicher Concentration der Gedanken
über einige musiktechnische Dinge spricht
und mit der grössten Feinfühligkeit jene
Abgründe der Künstlerseele beleuchtet, in
welchen Poetisches zu Musikalischem sich
formt; der zweite von Michael Haber-
landt, der von der Höhe des modernen Ge-
danken- und Gefühllebens die Erscheinung
Hugo Wolfs in ihrer Totalität überblickt.
MAX GRAF.
|