Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 634

Weihnachtsphantasie aus der Vreta-Klosterkirche (Mörner, Birger)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 634

Text

MÖRNER: WEIHNACHTSPHANTASIE AUS DER VRETA-KLOSTERKIRCHE.

Gothorumque Rex, gaudeat in cœlo, roget
hic quicunque, fidelis! Amen!«

— Amen! wiederholte König Ragvald.
Alle drei bekreuzten sich mit geneigtem
Haupte. Dann fragte er:

— Und wir? Was für Messen lesen
sie für uns, wie?

König Magnus, der nicht sprechen
kann, weist erst auf König Ragvald, dann
auf sich selbst und hierauf auf die Stadt
in der Ferne, als wollte auch er sagen:

— Und wir? Was für Messen lesen
sie für uns, wie?

König Inge schüttelt den Kopf.

— Vielleicht haben die Menschen euch
vergessen, sagt er mit bekümmerter
Stimme; wie sollten die Menschen sich
euerer erinnern? Gewiss, sie haben euch
vergessen. Was habt ihr ausgerichtet?
Aber ich, ich habe das Kloster in
Wrethom gegründet.

Du hast das Kloster in Wrethom ge-
gründet, aber jetzt ist es öde, sieh’ nur,
sieh’!

Und König Ragvald zeigte auf die
Kirche, deren entstelltes, scheunenähnliches
Schiff sich hinter ihnen vom Sternen-
himmel abhob. Sieh’ nur, sieh’!

König Inge wandte sich nicht um, er
fuhr fort, auf das Licht der bischöflichen
Stadt zu starren.

— Doch freilich sind die Menschen un-
dankbar. Warum machten sie mich nicht
zum Heiligen, mich, der Gottes Mutter
ein schönes Kloster gebaut und dem die
Menschen mit einem Gifttrunk den Mär-
tyrertod gaben.

— Mich schlugen sie mit einem grau-
samen Tod bei Karleby-Langa, sagte
König Ragvald und bekreuzigte sich,
mich erschlugen sie, aber auch ich ward
kein Heiliger.

König Magnus stieß die übrigen an,
dann zeigte er mit der rechten Hand auf
seine Brust, machte mit dem Arm eine
Bewegung nach seinem fehlenden Kinn,
so wie man ein Schwert führt, und wies
dann gegen Süden, wo er einstmals sein
Leben hatte lassen müssen. Zeichnete
dann mit dem Zeigefinger einen Heiligen-
schein um seine Stirne und schüttelte
betrübt verneinend sein Haupt, fuhr dann
fort, in die Luft hinauszustarren, während

er jetzt mit dem linken Fuße sein rechtes
Schienbein rieb.

— Vielleicht gedenken sie auch euerer.
Die Menschen haben ein gutes Gedächtnis,
sie halten ihre todten Könige schon in
Ehren. Gewiss lesen sie auch für euch
die Messe. Gewiss beten sie für uns alle
drei.

— Alle drei, wiederholte König Rag-
vald, und König Magnus nickte.

— Der Tod ist so lang, so lang, fuhr
König Inge fort, der Tod ist so lang, aber,
wenn man es so recht bedenkt, ist es kaum
ein Trost, zu wissen, dass die Menschen sich
unseres Namens erinnern und ihn ehren.
Blickt über die Ebene, da leuchten hier und
dort Lichter aus den Fenstern, da wachen sie
in der Christnacht und singen Gesänge
für der Jungfrau Sohn. Nun sitzen sie
beim Herde und erzählen Sagen, vielleicht
erzählen sie gerade jetzt von uns. Sie
entsinnen sich vielleicht nur, dass du,
König Ragvald, um dich betrinken zu
können, den Knauf aus deinem Scepter
brachst, dass du, König Magnus, ein Weib
erschlugst, und dass ich, Inge Halstansson,
es niemals wagte, einen Traber zu be-
steigen. Aber vielleicht haben sie vergessen,
dass du, Ragvald Knaphöfde, das Leben
wagtest, um deinen Hund aus einem
brennenden Hause zu retten, und dass
das Weib, das du tödtetest, Magnus
Nilsson, dich mit einem Stallknecht hinter-
gangen hatte, und dass ich, Inge Halstans-
son, niemals log. Die, welche leben, glauben
in ihrer Thorheit, dass sie es verstehen,
über die zu urtheilen, die früher gelebt,
sie verstehen ja nicht ihre eigenen Zeit-
genossen, nicht einmal sich selbst. Der
sich ein Weib nimmt, lernt sie nie bis
zum Grunde kennen, zwei Zwillingsbrüder
bleiben immer das ganze Leben lang
einander Fremdlinge. Ich möchte wohl
wissen, was sie jetzt von uns erzählen?
Denkt, wenn der Bauer drüben in der
Hütte der Glücklichere wäre, weil das
ganze Dorf in Jahr und Tag, nachdem
sie ihn hieher getragen, seinen Namen
vergessen haben wird! Denkt, wenn sie
uns alle drei vergessen haben! Und
dennoch kostete der Ruhm uns
allen dreien das Leben
.

— Und vielleicht die Seligkeit, flüsterte
König Ragvald.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 634, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-27_n0634.html)