Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 635

Weihnachtsphantasie aus der Vreta-Klosterkirche Die Accorde Mozarts (Mörner, BirgerPastor, Willy)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 635

Text

PASTOR: DIE ACCORDE MOZARTS.

König Magnus war eingeschlafen, den
Kopf auf seinem über die Kirchhofmauer
ausgestreckten Arm. Es war rasch dunkler
geworden, der Schnee fieng an, in großen,
sachte flatternden Flocken zu fallen, sie
fielen dicht über die drei Könige, legten
sich auf die braunen Schädel und auf die
glimmenden Stirnreifen, sie fielen zwischen
ihre Rippen und hinab über die Füße.
Sie fielen immer dichter auf die
Ebene; die Lichter der Stadt und der

entfernteren Hütten erloschen gleichsam,
und die dunkle Eule, die sich eben erst
auf dem Kupferdach des Douglas’schen
Grabchores niedergelassen, breitete die
Flügel aus und schwebte lautlos über den
Apfelgarten des Pfarrhofes hinein ins
Dunkel.

Da erhoben sich die drei Todtenmänner,
schüttelten den Schnee von ihrem Scheitel
und verschwanden über die Gräber, der
Kirche zu.*

* Aus dem Schwedischen von Francis Maro.

DIE ACCORDE MOZARTS.
Von WILLY PASTOR (Berlin).

Neulich erlebte ich wieder einmal
eine Aufführung des »Figaro«. Die Auf-
führung war, wie Mozart-Aufführungen
heute zu sein pflegen. Wenn solche Heroen
und Heroinen, denen Wagner das Pathos
beibrachte, unter die Cascaden des Rococo
gerathen, pflegt der Anblick nicht eben
groß zu sein. Aber schließlich sind es
doch nicht die Cascaden, die die unfrei-
willige Komik verschulden, und je länger
wir das Schauspiel betrachten, umso
gleichgiltiger werden wir gegen die
Ärmsten unter der Traufe, umsomehr
fesselt uns das Schauspiel der spielenden
Wasser, dieser Wasser, die im Sonnen-
licht funkeln, und deren Rauschen Saite
um Saite in unserem Innern schwingen
macht.

Rococo, zierliches, harmloses Rococo,
das ist der erste Eindruck, den die Musik
Mozarts auf den modernen Menschen
ausübt. Man denkt an die Grazie jener
kichernden, trippelnden Zofen, wie sie
Watteau in alle möglichen Costüme
steckte, an ihre Blicke, die wie eine
Staccato-Melodie nirgends so recht haften,
an helles Vogelgezwitscher, putziges
Kinderlachen und an tausend andere
niedliche, nichtige Dinge. Aber alles das,
so vollständig es uns das Wesen Mozarts
zu erklären scheint, ist doch nur erster
Eindruck, ist, was den modernen Menschen

in uns befremdet. Haben wir uns erst
daran gewöhnt, entdecken wir in all dem
bunten Trubel doch ein Etwas, das nicht
Rococo ist, das uns lockt und winkt, als
riefe man uns beim Namen.

Der Rembrandt-Deutsche spricht von
heimlichen Kaisern, die ungesehen die
Länder beherrschen, Maeterlinck von einem
heimlichen Gespräch, dessen Worte das
Ohr nicht vernimmt, und dessen Sinn
uns doch viel tiefer eingeht als alles Ge-
sprochene. So ließe sich von einem Mozart
in Mozart reden, einem Mozart, der nicht
XVIII. Jahrhundert ist, nicht Rococo, der sich
der Sprache seiner Zeit als eines gleich-
giltigen Mittels bedient, in ihr Dinge aus-
zusprechen, deren Sinn über alle Jahr-
hunderte weg die Menschen ergriffen hat
— ergreifen wird.

Das Zeitmaß des Rococo ist das Allegro,
bisweilen das Allegretto, jedenfalls eine
bewegte Gangart. Im Andante und Adagio
hält es der Rococokünstler nicht aus.
Erst wenn er über die breiten, schweren
Accorde dieses Zeitmaßes die lustigen
Figuren seiner Solfeggien und Triller hin-
flattern lassen kann, wenn er mit ihnen
das Larghetto wieder zum Allegretto um-
gewandelt hat, dann erst fühlt er sich
wohl.

Erster Unterschied zwischen der Musik
Mozarts und der des Rococo. Mozarts

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 635, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-27_n0635.html)