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Tempo ist das Andante. Gewiss, er macht
dem Zeitgeschmack Zugeständnisse und
schreibt »Rollen« für italienische Soubretten.
Aber dann merkt man es ihm an, dass
es hier die Coloratur in den Kauf nimmt,
wie der Rococokünstler das schwere Zeit-
maß in den Kauf nahm.
Mit Vorliebe unterbricht Mozart ferner
das lebhafte Tempo in seinen Allegro-Sätzen
durch eine getragene Melodie, die mit
Halben statt mit Vierteln, mit Vierteln
statt mit Achteln rechnet. Diese Stellen
sind unseren Sängern wohl bekannt als
eine Art Oase, in der ihre schwitzende
Grazie endlich einmal verschnaufen kann.
Und es ist gut so. Auf diese Weise werden
jene intimen Stellen zwar etwas gewaltsam
hervorgehoben, aber es scheint das für
unser liebes Publicum noch immer von-
nöthen zu sein, soll es überhaupt eine
schwache Vorstellung von dem Mozart in
Mozart bekommen.
Das feinere Ohr freilich fühlt sich
beleidigt von dieser fatalen Art, Mozart
in Scene zu setzen, und lieber noch als
jenen offenen Andante-Stellen lauscht es
den heimlichen, in denen der große
Maestro sein volles Incognito bewahren
kann. Es sind das jene eigenthümlichen,
räthselhaften Stellen, die ganz Rococo,
ganz spielendes Allegro zu sein scheinen,
und die uns doch so durchaus modern
anmuthen. Was verschafft ihnen ihre
zauberische Macht? Wir prüfen sie auf
die Melodien, die sie tragen, und finden
gleichgiltige Figuren. Wir prüfen sie auf
ihre Instrumentation: es ist die farblose
Instrumentation des vorigen Jahrhunderts.
Hier und da verstärkt wohl ein leise
hineintönender Hornruf jene aparte, discrete
Stimmung, die dem Ganzen eigenthümlich
ist, aber er versärkt sie auch nur, denn
geben wir die Stelle auf dem Clavier
wieder, so verliert sie nur wenig. Also
auch das ist es nicht. Die Modulation
vielleicht? Sie greift nur über einen be-
scheidenen Theil der Peripherie des
Quinten-Cirkels, und selbst da vermeidet
sie überraschende Sprünge. Also was
könnte es sein?
Ja, was könnte es sein! Etwas, das
der moderne Mensch bei Mozart zuletzt
in Frage zieht: die Harmonik. Diese für
unser Empfinden so lächerlich einfach ge-
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bauten Harmonien, diese alltäglichen
Dreiklänge und Sept-Accorde, Accorde alles,
die jeder damalige Italiener ebensogut
beherrscht, die sind es, mit denen Mozart
sich uns selbst gibt, mit denen er die
diflferenziertesten Seelenstimmungen oft
klarer und sicherer zum Ausdruck bringt,
als wir heute es mit unserer an Nuancen
so überreichen Accordsprache vermögen.
Die Accorde, mit denen Mozart im
wesentlichen auskommt, sind die beiden
»Grund-Dreiklänge« aus Dur und Moll
(z. B. c, e, g und c, es, g), der »Dominant-
Sept-Accord« (z. B. g, h, d, f) und der
»verminderte Sept-Accord« (gis, h, d, f).
Einige andere Sept-Accorde, unter denen
der »der 7. Stufe in Dur« (h, d, f, a) der
wichtigste ist, finden sich in einer selteneren,
freilich umso gewählteren Anwendung.
Das ist nicht viel, und vergegenwär-
tigen wir uns, was die wenigen Accorde
seelisch mitzutheilen haben, so scheint es
um das Ausdrucksvermögen Mozarts recht
dürftig bestellt. Die Psychologie jener
Accorde ist ja zur Genüge bekannt. In
tausend und abertausend Recitativen zur
Anwendung gebracht, sind sie schließlich
selbst den musikalischen Barbaren geläufig
geworden. Man weiß, dass an Stellen, an
denen der Librettist von »Jubel« oder
»Lust« oder »Tag« oder »Sonne« spricht,
der Dur-Accord zu intonieren ist, dass die
»düstere Nacht«, »Trauer«, »Kummer«
u. s. w. im Moll-Accord ihr Attribut be-
sitzen, dass der Sept-Accord (g, h, d, f)
die verschiedenen Grade der Sehnsucht
begleitet, der verminderte Sept-Accord
(gis, h, d, f) die der Verzweiflung, je nach-
dem in bebendem Tremolo oder gehal-
tenen, vollen Noten.
Wahrhaftig, die ganze Anmuth des
Rococo war nöthig, dass man sich so
lange mit einer Harmonik zufriedengeben
konnte, die in jenen wenigen Accorden
immer und immer wieder die gleichen
Empfindungen anklingen ließen. Wie aber
kommt es, dass Mozart, der doch in har-
monischer Beziehung nicht reicher erscheint
als seine Zeitgenossen, uns mit seinen
Accorden doch so unvergleichlich mehr
sagt?
Mit zwei Worten ist das Geheimnis
der Mozart’schen Accorde erklärt: Ihre
Wirkungskraft, ihre thatsächliche Viel-
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