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einzelne Stimme ihrer Partituren eine
Sorgfalt verwendet, als deren Ergebnis
wir einen ebensolchen Reichthum in der
Stellung wie Lage der Accorde bewundern
können.
Diesem Einwand möchte ich nicht nur
nicht widersprechen, sondern sogar dahin
erweitern, dass der Accordreichthum und
die Variabilität der einzelnen Accorde bei
jenen Componisten noch bedeutender ist
als bei Mozart. Es ist nur eine Kleinigkeit,
die Mozart auch von diesen wahrlich
größeren Künstlern scheidet. Die nämlich,
dass Mozart nicht im Interesse einer guten
Stimmführung, eines soliden Contrapunktes
seine Accorde wendet und dreht, sondern
— dass er aus der Stimmung heraus, wie
die Accorde selbst, so auch ihre Lage
sich wählt.
Mozart ist der erste, der die Stellung
der Accorde psychologisch verwertete, er
war in dieser Verwertung größer als irgend-
ein Musiker vor oder nach ihm, und das
ist es, was uns heute noch mit so selt-
samen, lockenden Stimmen aus seinen
Partituren entgegenklingt.
Um die Bedeutung Mozarts in diesen
Dingen zu ermessen, müssen wir uns zu-
vor über einige Fragen der musikalischen
Ästhetik und Psychologie unterrichten.
Die Psychologen pflegen die verschie-
denen Stimmungen, die in unserer Seele
wiederklingen können, zu scheiden in solche
der Lust und der Unlust. Diesen beiden
Grundstimmungen entsprechen die beiden
Tongeschlechter, auf welche die Ent-
wicklung der Musik alles harmonische
Material vereinfacht hat: das Dur und
das Moll. Die Accorde und Melodien des
Dur-Geschlechtes erwecken helle, freudige
Seelenbilder, die des Moll-Geschlechtes
drücken uns nieder. Wie ist diese ver-
schiedene Wirkung möglich?
Geben wir der Reihe nach die Töne
einer Dur- und einer Moll-Scala an und
sehen, in welchen Intervallen die beiden
Tonleitern sich unterscheiden:
c, d, e, f, g, a, h, c
c, d, es, f, g, as, h (b), c.
In beiden Fällen sind gleich die Inter-
valle der Secunde, Quarte, Quinte, Octave
und — im sogenannten »melodischen
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Moll« — der Septime. Verschieden sind
die Terz und die Sexte, die im Dur in
ihrer »großen« (c, e und c, a), im Moll
in ihrer »kleinen Form« (c, es und c, as)
erscheinen. Von den gleichen Intervallen
kann die Verschiedenheit der seelischen
Wirkung nicht ausgehen. Sonach bleiben
uns zur Erklärung dieser Wirkung nur
die sich ändernden Formen der Terz und
Sexte. Je nachdem die Intervalle in ihrer
großen oder kleinen Form erscheinen,
erwecken sie in uns — die Ausdrucksart
der Psychologen anzuwenden — Gefühle
der Lust oder der Unlust.
Die Ausdrucksfähigkeit großer und
kleiner Intervalle, die —je nachdem — be-
freiend oder niederdrückend auf uns wirken,
finden wir klarer noch als in der »homo-
phonen« Musik in der »polyphonen«.
Zwei, drei und mehr Intervalle, die in der
einstimmigen Melodik nur nacheinander
anzugeben sind, lässt der Accord auf
einmal ertönen, wodurch sie umso un-
mittelbarer und stärker auf uns zu wirken
vermögen. Die Wirkung selbst ist in beiden
Fällen die gleiche. Das Vorherrschen großer
Intervalle erweckt Gefühle der Lust, das
Vorherrschen kleiner Gefühle der Unlust.
Im »freudigen« Dur-Accord (c, e, g) herrscht
die große Terz (c, e) vor, im »düsteren«
Moll-Accord (c, es, g) die kleine (c, es). Von
den beiden wesentlichsten Sept-Accorden
baut derjenige der »Sehnsucht« (g, h, d, f)
sich auf einem Dur-Dreiklang auf, während
derjenige der »Verzweiflung« (verminderter
Sept-Accord gis, h, d, f) ausschließlich aus
kleinen Intervallen besteht.
Man könnte einwenden, der Dur-
Dreiklang (c, e, g) enthielte neben der
großen Terz (c, e) auch eine kleine (e, g),
der Moll-Dreiklang (c, es, g) neben der
kleinen (c, es) eine große (es, g). Aber
das ist ein Irrthum. Nicht von Stufe zu
Stufe, sondern vom Grundton aus hören
und messen wir die Intervalle. Der Accord
c, e, g besteht für unser Ohr nicht aus
den Intervallen c, e und e, g, sondern
c, e und c, g. Einen Accord wie e, g, c
nennt die Harmonielehre nicht den Terz-
Quart- (e, g und g, c), sondern den Terz-
Sext-Accord (e, g und e, c).
Diese akustische Thatsache ist es, die
jeden Dur- oder Moll-Dreiklang, sofern er
nur in der Grundstellung angegeben wird,
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