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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 644

Text

HELLMER: HUGO WOLF-VEREINE.

Künstler-Erscheinung nicht voll verbraucht
hatte, wurde und wird heute noch gegen
Wolf ins Treffen geführt. Nur leichter
hat es der kleine arme »Wagner des
Liedes«, wie er hämisch genannt wurde,
der Coterie gemacht, als der große wirk-
liche Wagner. Er ließ sich — seines
einstigen Triumphes sicher — stolz todt-
schweigen, systematisch todtschweigen,
und er würde noch heute todtgeschwiegen
sein, wenn nicht auch dieser Kaspar
Hauser der Musik doch endlich ent-
sprungen uud an den Tag gekommen
wäre, aus dem er nun nicht mehr ent-
schwinden wird.

Und nicht genug an der bösen
»Wagnerei« in seiner Kunst! Man gieng
so weit, rein persönliche Schwächen, die
man an Wagner gefunden, ihm als dessen
Nachbeter anzuheften. Wieviel hat der
Unschuldige, der politisch fast indifferent
gewesen, nicht darunter zu leiden gehabt,
dass man ihn förmlich für Wagners
»Judenthum in der Musik« verantwortlich
und aus ihm einen deutschnationalen
Leib-Componisten gemacht hat, vielleicht
aus dem einzigen Grunde, weil der Wiener
akademische Wagner-Verein ihn gefördert
und oppositionelle Journale seiner Arbeiten
zuerst anerkennend gedacht haben.

Und doch ist es ein bloßes Vorurtheil
— und dies ist das wahrhaft Beschämende,

fast möchte man sagen Spasshafte an
der ganzen Sache — Wolf mit Wagner
überhaupt in ein Verhältnis künstlerischer
Verwandtschaft zu bringen. Feinde und
Freunde — auch diesen kann der Vor-
wurf nicht erspart bleiben — haben, be-
wusst und unbewusst, jahraus jahrein
nichts gethan, diese Lächerlichkeit auf-
zudecken. Selbst die Wolf-Vereine haben
in ihren Publicationen der in diesem
Sinne rückständigen Beurtheilung Wolfs
einen zu breiten Raum gegeben. Es
musste schon lange einmal herausgesagt
werden, beileibe nicht aus taktischen
Gründen, etwa weil ein nicht »wagnerisch
componierender Musiker« leichter durch-
zusetzen ist: Wolfs Kunst hat mit der
Richard Wagners außer einem selbstver-
ständlichen Zusammenhange im Sinne
des Goethe’schen Gesetzes künstlerischer
Filiation rein gar nichts zu thun, so
wenig etwa, wie eine künstlerische Ver-
wandtschaft zwischen Beethoven und
Schubert bestanden hat.

Nach dieser Richtung hin aufklärend
zu wirken, darin werden die Wolf-Vereine
nunmehr eine ihrer Hauptaufgaben zu
erblicken haben. Sie werden erweisen,
dass Wolf nicht etwa auch ein »kluger
Affe Richard Wagners«, sondern eben
Hugo Wolf ist, ein Künstler, der seine
eigene Sprache spricht.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 644, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-27_n0644.html)